Celsissimus
By Arthur Achleitner

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VII.

Streng ward der Winter, der frühzeitig mit Kälte begonnen hatte. Die Folgen des Mißwachses vom letzten Jahr bekamen die Salzburger zu fühlen, es trat Teuerung, Kornmangel ein, und die Armen überliefen die Ratsherren, bestürmten den Bürgermeister, auf daß dieser Hilfe schaffe. Ludwig Alt hatte ein Herz für die Notleidenden, er gab willig aus eigenen Mitteln, beriet sich mit den Mitgliedern des engeren Rates, sprach wohl auch mit dem Stadtkastner, aber mit den geringen Mitteln aus der Stadtkasse konnte der Kalamität in keiner Weise begegnet werden. So mußte von selbst der Gedanke entstehen, den Landesherrn um Hilfe anzugehen, Wolf Dietrich zu bitten, einzugreifen. In einer Ratssitzung ward dieser Gedanke ausgesprochen und sogleich mit epischer Breite debattiert, wobei an verschiedenen Maßnahmen des Fürsten bitterböse Kritik geübt wurde. Sagte ein Ratsherr offen, daß die Verabreichung der Ritterzehrung an fremde Landsknechte ein Frevel sei, indessen die eigenen Unterthanen Not litten, ein anderer Senator beklagte mit leidenschaftlich erregten Worten die schwere Schädigung des Handels durch die rücksichtslos eingetriebenen Steuern und donnerte gegen den Langmut der Salzburger, die sich vom verschwenderischen Landesherrn völlig auspressen ließen. Vergeblich wehrte der Bürgermeister solchen scharfen Worten durch die Glocke, die Redner ließen sich nicht beirren, auch nicht, als Ludwig Alt durch Zwischenbemerkungen auf die Gefahr aufmerksam machte, die entstände, wenn der Fürst von solchen bösen Worten Kenntnis erlange. Bürger, die nicht stimmberechtigt in der Landschaft waren, machten ihrem Unwillen Luft, daß der Ausschuß stets Ja und Amen zu den unerträglichen Steuermandaten sage und sogar mehr bewillige, als der Fürst gefordert, wie das bei der Türkensteuer der Fall gewesen sei. Bei einem so überaus klugen, scharfsehenden Herrn müsse die Überzeugung kommen, daß die Bürgerschaft noch mehr geschröpft werden könne, und es werde nicht lange mehr dauern, so habe man eine neue Bescherung auf dem Hals: die Landsknechtsteuer.

Schwitzend vor Angst rief der Bürgermeister dem Redner ein “Haltet ein!" zu, doch unentwegt polterte dieser weiter und führte aus, daß es höchste Zeit sei, dem Fürsten klar zu machen: Weiter gehe es nicht mehr! Wolle der Erzbischof das Landsknechtgesindel nobel verpflegen, so solle er das aus eigenem Säckel bestreiten.

Stundenlang währte die scharfe Debatte, bis sich die Redewut erschöpfte und der Bürgermeister die Sitzung schließen konnte, die nach der praktischen Seite hin nicht das geringste Ergebnis aufwies. Ludwig Alt überlegte in seiner Amtsstube lange, was zu beginnen sei, um Wolf Dietrich zum Eingreifen zu bewegen. Die Entsendung einer städtischen Deputation erschien aus dem Grunde sehr bedenklich, weil der Fürst möglicherweise von den abfälligen Reden Kenntnis haben oder aus unvorsichtigen Bemerkungen mutmaßen könnte, daß scharfe Kritik im Stadthause geübt worden sei. Ludwig Alt hatte seine eigene Unvorsichtigkeit beim damaligen Bankett nicht vergessen und sich hinterdrein selbst die bittersten Vorwürfe über die seinerzeitige Schwatzhaftigkeit gemacht, wenngleich es an sich wahrscheinlich gewesen war, daß der in Steuerangelegenheiten so überaus findige Landesherr auch auf die Weinbelastung gekommen wäre. Nach den gefährlich scharfen Reden einzelner Ratsherren dem Fürsten persönlich die Bitte um Hilfe aus Landesmitteln zu unterbreiten, wagte der Bürgermeister nicht; zwei seiner intimsten Vertrauten, die bei ihm in der Amtsstube saßen, sprachen sich auf Befragen auch dahin aus, daß der schriftliche Weg sicherer und weniger gefährlich sei. Und so ließ denn der Bürgermeister eine Bittschrift in beweglichen Worten vom Syndikus säuberlich schreiben, die dann mit den nötigen Unterschriften versehen und an den Erzbischof in die Residenz geschickt wurde.

Große Erwartungen hegte der Bürgermeister nicht, so sehr er für die Armen baldige Hilfe wünschte. Zum großen Erstaunen Ludwig Alts erschien schon am nächsten Tage ein Beamter im fürstlichen Auftrage und vermeldete dem Stadtoberhaupt, daß der Landesherr mit Betrübnis von der Bittschrift Kenntnis genommen und Befehl erteilt habe, es solle an die vom Bürgermeister zu bezeichnenden Armen Korn in hinreichender Menge aus der stiftischen Kornkammer unentgeltlich verabreicht werden. Bestünde sonst noch Bedarf in Kreisen, die einigermaßen über Geldmittel verfügen können, so sollten diese Sippen Korn zu ermäßigtem Preise erhalten. Der Beamte fügte dem bei: “Hochfürstliche Gnaden versehen sich bei diesem Gnadenakte keinerlei Dankes, Hochdieselben wollen damit nur beweisen, daß das Herz des Landesherrn allzeit schlage für die Unterthanen.”

Der Bürgermeister in maßloser Überraschung empfand das mißliche Schlingen und Würgen im Hals, das ihm schon einigemal so überaus fatal geworden ist und immer just dann, wenn Alt schnell und doch wohlgesetzt sprechen sollte. Jetzt heißt es den tiefgefühlten Dank der Stadt in passende Worte kleiden. Rede einer aber gut und schön in einer Überraschung, die jeglichen Gedanken lähmt! Ludwig Alt ächzte, er kämpfte um Worte und gegen Willen und Absicht kam es über die zuckenden Lippen: “Die unterthänige Stadt dankt Seiner Hochfürstlichen Gnaden, sie hätt’ es nicht geglaubt....”

“Wie meint der Herr Bürgermeister?” fragte erstaunt der Beamte.

“Ich hätt’s nicht geglaubt!”

“Was?”

“Die Hilf’ vom gnädigen Fürsten, nein, will sagen, ich glaub’s eigentlich nicht, sieht ihm nicht gleich....”

Die Augen des fürstlichen Beamten wurden immer größer.

“Mit Vergunst! Mir nimmt die freudige Überraschung die Gab’ der Rede! Auf die bösen Reden doch die Hilf’, schier kann ich’s nicht glauben...." stammelte in höchster Verwirrung der Bürgermeister.

“Eurer Rede Sinn will mir nicht klar erscheinen, drum bitt’ ich Euch, deutlicher zu werden, auf daß Bericht ich kann erstatten dem gnädigsten Herrn!”

“Das ging mir just noch ab! Nein, nein, verzeiht, vieledler Herr–den schuldigen Dank will schriftlich ich erstatten, das geht leichter und derweil legt sich alles. Ist’s Euch genehm, wollen wir gleich vornehmen die Verteilung! Nicht länger mehr sollen die Armen hungern! Dank, Dank dem gnädigen Fürsten! Er hat halt doch das Herz am rechten Fleck und Mitgefühl für die notleidende Menschheit!”

“Das haben Hochfürstliche Gnaden noch jederzeit erklecklich bekundet, daher will befremden mich der Ton Eurer Rede!”

“Mit Vergunst, mit nichten! Achtet nicht auf Ton und Wort, mir ist die Gab’ der Rede nicht beschieden!”

Der fürstliche Hofbeamte schüttelte verwundert den Kopf und erklärte sich bereit, die Kornkammer öffnen zu lassen.

Der Vereinfachung halber ließ der Bürgermeister ausschellen, daß binnen einer Stunde die Armen der Stadt an der fürstlichen Kornkammer erscheinen und die Kornspende des Landesherrn in Empfang nehmen sollten.

Das gab eine freudige Bewegung in der Stadt; mit Zeggern, Bütten, Tonnen, was eben den Leuten in die Hände kam, ward ausgezogen, im Sturmlauf ging’s der Kornkammer zu, und ungestüm drängte die Menge, wobei es Püffe regnete und wohl auch die Kornverteiler mit Ellbogen und Fäusten der armen Leute Bekanntschaft machten.

Der Akt solcher Wohlthätigkeit brachte einen völligen Umschwung in der Stimmung der Salzburger hervor, er zeitigte innige Dankbarkeit, der nur die besser situierten Kreise, die Kaufherrensippe und Gilden kühl gegenüber blieben. Wolf Dietrich ward als guter Landesvater gepriesen von den Armen.

Ludwig Alt konnte es nun wagen, persönlich in der Residenz zur Dankeserstattung erscheinen. Er meldete sich zur Audienz und wurde gleich vorgelassen.

Mit gewinnender Liebenswürdigkeit, huldvoll und leutselig ging Wolf Dietrich dem Bürgermeister einige Schritte im hohen Empfangssaale entgegen und begrüßte ihn mit herzlichen Worten.

Wieder empfand Ludwig Alt das fatale Würgen im Halse, doch energisch raffte der Stadtvater sich auf und sprach langsam, doch deutlich und ohne Stottern: “Hochfürstliche Gnaden! Ich komme schuldbeladen, nein, ich komme nicht...!”

“Wie meint der Bürgermeister?”

“Meinen thät’ ich’s schon recht, aber recht sagen kann ich’s nicht! Mein Gott, der Unterschied ist halt zu groß: Da der gnädigste Herr und Fürst, der hochwürdigste Erzbischof und ich, der einfache Bürger und Stadtvater, der nix zu sagen hat als den unterthänigsten Dank der Armen für die gnädige Hilf’ mit Korn in dieser Zeit der Not und Bedrängnis!”

“Recht so, mein lieber Bürgermeister! Es ist ganz gut, so er des Unterschiedes sich bewußt bleibet und den Sippenstolz zu Hause lasset. Den Dank der Armen begehr’ ich nicht; es ist mir ein Bedürfnis, in solcher Not zu helfen nach Kräften. Ich danke Ihm für seine Meldung, in der Vertrauen ich erblicke zum Landesherrn. Wo Vertrauen, findet sich der richtige Weg, das Volk soll immer Vertrauen zu seinem Fürsten haben. Zur rechten Zeit solche Meldung über Vorgänge lob’ ich; nur will ich nicht überlaufen werden!”

“Ganz richtig! Dräng’ dich nicht an deinen Fürst’, so du nicht gerufen wirst!” plapperte Alt heraus.

Im Feuerauge Wolf Dietrichs blitzte es zornig auf und unmutig sprach der Fürst: “Laß Er solch’ Gerede! Dafür sage Er mir, wer ist nach seiner Meinung schuld an bemeldter Teuerung?”

“Allweil der Mißwachs, dann halt die Kornwucherer und zuletzt die Bäcker, die immer höher hinauffahren mit den Preisen!”

“Für den Mißwachs können wir alle miteinander nichts. Den Kornwucher hoff’ ich noch zu stürzen. Wer billig kaufen will, soll Korn von mir erhalten, solang der Vorrat reicht. Die Bäcker aber werd’ ich Mores lehren.”

“Hochfürstliche Gnaden! Das könnt’ nicht schaden, wird aber die Bäcker rebellisch machen!”

“Rebellen mehr und minder seid Ihr alle, so Euch was nicht in den Alltagskram passet. Ich werde nachforschen lassen nach der letzten Verkaufsordnung für die Bäcker, und darnach Entschließung erlassen.”

Im Bürgermeister dämmerte eine Ahnung auf, daß eine solche Maßregel das Übel nur verschlimmern müsse, weil ganz unzeitgemäß. Ludwig Alt fand plötzlich die Gewalt über Gedankengang und Sprache wieder und setzte dem Gebieter klar auseinander, daß Wiederaufrichtung einer veralteten Ordnung nicht nur bei den Bäckern, sondern auch im Volke selbst Unwillen hervorrufen müsse. Es liege im Zug der Zeit, daß alle Lebensmittel teurer werden, es lasse sich daher ein Preis aus früherer Zeit nicht erzwingen ohne Gewichtsverringerung.

“Ich werde solche Verringerung bestrafen!”

“Dann wandern uns auch noch die Bäcker aus!”

Wolf Dietrich horchte auf; das Wort der Auswanderung machte ihn nach den letzten Erfahrungen stutzig, erregte stets seinen Unwillen. “Genug davon! Ihr werdet das weitere noch vernehmen! Vermeldet meinen Gruß den Unterthanen!”

Damit war der Bürgermeister entlassen.

Bald darauf fand im Arbeitskabinett eine Beratung statt, zu welcher einige Hofräte und der in Steuerangelegenheiten maßgebende Dr. Lueger befohlen waren. Zu Graf Lamberg war gleichfalls geschickt worden, doch der Kapitular weilte auswärts.

Folgenschwer gestaltete sich diese Beratung in ihren Ergebnissen, da niemand der Herren es wagte, dem hitzigen Fürsten zu widersprechen. Wolf Dietrich dekretierte den zehnten Pfennig von aller liegenden und fahrenden Habe für jene Salzburger, die ihre Heimat verlassen, ferner ward auf Grund eines Referates der Brotverkauf nach der alten Ordnung vom Jahre 1480 befohlen. Besonders verhängnisvoll ward der Vortrag Dr. Luegers über die abermalige schlechte Finanzlage und die hohen Kosten, welche die Ritterzehrung verursache.

Wolf Dietrich hatte solchem Referat aufmerksam zugehört und blieb eine Weile schweigend im Stuhle sitzen. Dann verkündete er den Räten, daß eine Landsknechtsteuer eingehoben werden solle, und zwar von je hundert Gulden vierundzwanzig Kreuzer.

Fr. Lueger wagte einzuwenden, daß in dieser Zeit der Teuerung die Einhebung auf Schwierigkeiten stoßen werde; über die Ungeheuerlichkeit, neben der Türkensteuer, welche von je hundert Gulden jährlich sechs Schillinge nimmt, und all’ den neueingeführten Steuern der letzten zwei Jahre auch noch eine Landsknechtsteuer zu erheben, sprach sich der Finanzgewaltige im Rate nicht aus.

Wolf Dietrich erwiderte, gereizt schon durch den leisen Einwand, scharf: “Die Einhebung ist seine Sache! Kommt Er nicht durch, so mache Er’s auf Augsburger Art. Jeder Unterthan hat unter leiblichem Eide genau sein Vermögen anzugeben. Wer lügt, soll die ganze Schwere der Strafe empfinden, so da sein soll: confiscatio in toto!”

Dr. Lueger guckte überrascht, verbeugte sich und murmelte: “Euer Hochfürstliche Gnaden Befehl soll pünktlich befolget werden!”

Nach Schluß dieser Sitzung in der Residenz und auf dem Weg zur Kanzlei war es dem Steuerrat Lueger doch nicht so recht wohl, er empfand ein dumpfes Gefühl, daß die Augsburger Art einer Steuereinhebung im salzburgischen Lande kaum sich glatt durchführen lassen werde. Lueger wußte wohl durch Mitteilungen eines Amtsbruders in Innsbruck, daß diese Art nach Augsburger Muster auch für Tirol geplant sei, ebenso gut wußte er aber auch, wie schlimm es mit der Steuerkraft im Salzburgischen bestellt ist. Hinterdrein machte sich der Finanzgewaltige doch Vorwürfe, den Fürsten nicht auf die thatsächlich bestehende Schwächung der Steuerkraft aufmerksam gemacht zu haben. Und eine Ahnung sagte Lueger, daß zum mindesten mit der Ausführung des fürstlichen Befehles etwas gewartet werden müsse. Immerhin konzipierte er den Befehl und legte das gefährliche Aktenstück zur Seite, hoffend auf eine Rücksprache mit dem einflußreichen Grafen Lamberg, dem vielleicht es doch gelingen könnte, eine Sinnesänderung beim Fürsten herbeizuführen.

Allein schon die nächsten Tage brachten andere Verhältnisse. Der fürstliche Kastner mußte erklären, daß die Neuforderungen für Verpflegung der Landsknechte wegen Geldmangel nicht mehr befriedigt werden könnten, ja daß der Fürst ihn habe wissen lassen, es müsse Geld in größerer Menge bereit gehalten werden für würdigen Empfang einiger zu Besuch angesagten Herren, und außerdem sei des Fürsten Almosenschatulle[9], beinahe leer.

Da hatte Dr. Lueger nun die Bescherung. Nichts als Anforderungen an die Hofkammer, Zahlbefehle in Massen, dazu kein Geld in den Kassen, Steuerrestanten überall, die Steuerkraft geschwächt, und eine neue Steuer in Sicht, vor deren Ausschreibung dem Finanzmanne allein schon graut. Viel Zeit zum sinnieren blieb ihm nicht, denn schon am nächsten Tage ließ der Fürst wissen, daß seine Armen ihr Almosen unter allen Umständen bekommen müßten, also Dr. Lueger Geld beschaffen müsse. Das “Wie” sei seine Sache. Gewisse Reserven hat nun wohl jeder Finanzkünstler, Dr. Lueger hatte sie auch und schickte eine Summe Geldes an den Hofkastner. Zugleich aber und ohne auf Graf Lambergs Rückkehr zu warten, ward das Mandat fertig gestellt und die Unterschrift des Fürsten eingeholt.

Das neue Steuermandat trat in Kraft und wirkte bei der Bevölkerung in höchst aufregender Weise. Zuerst waren es die Städter, die remonstrierten, den Eid zur Vermögensangabe nicht leisten wollten. Die Kommission machte aber nicht viel Federlesens und erzwang den Eid.

Als Dr. Lueger die schriftlichen Vermögensangaben vorliegen hatte, fand er schon bei flüchtiger Durchsicht, daß die ihm nach Geschäft und Vermögen einigermaßen bekannten Leute ihren Besitz viel zu gering, also fälschlich angegeben hatten. Wenn solche Fälschungen in der Residenzstadt schon vorkommen, wie muß es da erst im Lande draußen werden!

Dr. Lueger nahm sich seinen Kollegen Riz zum Assistenten und beide gingen nun gemäß dem fürstlichen Befehl mit aller Strenge an die Durchführung des neuen Mandates, und zwar bei hoch und nieder.

Bei einigen Salzburgern wurde schlankweg die Einziehung des Vermögens als Strafe für die verübte Falschmeldung verhängt und weggenommen, was an Bargeld vorgefunden ward. Um Lärm und Protest kümmerte sich die Kommission nicht weiter, die Leute sollen nur schimpfen, ihr Geld wanderte in die fürstlichen Kassen, das war zunächst die Hauptsache.

Lueger befand sich im schönsten Fahrwasser und griff auch alsbald in die Rechte des Adels ein, indem er zu inventarisieren begann. Eines der wenigen Rechte, welche Erzbischof Johann Jakob dem Adel noch übrig gelassen hatte, bestand darin, daß die Adeligen allein die Verlaßenschaft ihrer Grundholden zu inventarisieren und darüber zu verfügen hatten. Lueger und Riz nahm aber auch dieses Recht im Namen des Fürsten hinweg, was natürlich den Adel erbittern mußte. Die Hofkammer schickte dann die schärfsten Befehle zu Inventarisierungen ins Land hinaus, besonders an die Pfleger des Pinzgaues, welcher Landesteil im Steuerzahlen immer etwas säumig und in Bezug auf Religion mehr auf der lutherischen Seite war.

Der erste eingelaufene Bericht ließ erkennen, daß Fälschungen in den Vermögensangaben in größerem Umfange vorgekommen sein mußten, der Pfleger hatte dazugeschrieben, daß man amtlicherseits mit den Bergbauern nicht mehr auszukommen wisse und die Hofkammer gut thun würde, wenn sie die Inventarisierungen selbst vornehme. Sofort erstattete Lueger hierüber Meldung beim Fürsten und sprach den Verdacht aus, daß die Pfleger wohl nicht ohne Mitschuld an den Fälschungen sein dürften. Das heiße Blut Wolf Dietrichs wallte auf, sein zorniger Befehl lautete auf Untersuchung, Lueger und Riz wurden beauftragt in den Pinzgau zu reisen und mit rücksichtsloser Schärfe gegen die Betrüger vorzugehen.

Dieser Befehl deckte die Kommissare und nahm von ihnen die Verantwortung, Lueger und Riz können schalten und walten nach Gutdünken, die Schuld fällt auf den Gebieter, falls die Kommissionsreise übel ausgeht, die Bauern rebellieren sollten.

 

Dem alten Schlosse Kaprun, das den Ausgang des herbschönen Kapruner Tauernthales beherrscht und einen entzückenden Blick auf die Fluren und Berge Pinzgaus bietet, so ritt der greise Pfleger Kaspar Vogel von Zell auf einem derbknochigen Pinzgauer Rosse langsam, nachdenklich, wie betrübt. Der seit reichlich dreißig Jahren den salzburgischen Landesfürsten und Erzbischöfen dienende Beamte genoß bei der Bevölkerung der Bergwelt des Pinzgaues großes Vertrauen, und auch zu Salzburg wußten höhere fürstliche Beamte den pflichttreuen Pfleger zu schätzen. Bei Hof kannte man den greisen Kaspar Vogel allerdings nicht, denn der Zeller Pfleger kam oft jahrelang nicht in die Bischofstadt, und wenn er je in dringlichen Amtsgeschäften nach Salzburg mußte, so ward der Dienst immer schnell erledigt und sogleich die Heimreise angetreten. Der würdige Greis fühlte sich in Salzburgs engen Gassen und Mauern nicht wohl, er war zu sehr an die Bergwelt gewöhnt und nahm willig alle Entbehrungen hin, die ein ständiger Aufenthalt im Pinzgau mit sich bringt. Weib und Kinder hätten wohl manchmal Luft verspürt, all’ die märchenhaft gepriesenen Hoffeste zu Salzburg zu sehen, doch der alte Pfleger litt dergleichen Ausflüge nicht und erklärte, daß ein Humpen guten Weines viel schöner und zuträglicher sei, als salzburgisches Possenspiel. Ohne ein veritabler Trinker zu sein, hielt Vogel viel auf ein vollgeaicht Viertel Weines, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Mancher Ritt in Amtsangelegenheiten tief hinein in unwirtliche Thäler zu Einödbauern brachte ohnehin Abbruch am gewohnten Weingenuß, und solche Entbehrung that dem alten Pfleger weher denn etwa die körperlichen Strapazen.

Warm schien die Sonne an diesem Junitage herab, als Kaspar Vogel auf seinem Braunen ins Kapruner Thal einbog. Der erste Blick galt dem alten Gemäuer der Burg, dann aber sah der Pfleger aufmerksam zum Dorfe Kaprun hinüber, und beim Anblick einer größeren Menge von Bergbauern flüsterte Vogel: “Dacht’ ich’s doch! Also auch die Kapruner stehen auf wie die Mittersiller! Es wird ein Kreuz werden mit dieser Steuer!”

Entschlossen wohl wie immer die Pflicht zu erfüllen, ritt der greise Pfleger nun in lebhafterer Gangart dem Schlosse zu, wo Amtstag abgehalten werden sollte. Sein Erscheinen mußte bemerkt worden sein, denn die Bauern begannen zu laufen, der Haufen Leute bewegte sich schreiend dem Schlosse zu, das die Bauern gleichzeitig mit dem Reiter erreichten.

Vogel rief den ungeduldigen Bauern zu: “Nur Zeit lassen, Männer! Alles hat seine Zeit! Laßt mich nur mein Roß versorgen, und mir gönnt einen Schluck vorher!”

Ein stämmiger älterer Gebirgler, Namens Rieder, trat vor, nahm den Hut ab und erwiderte: “Mit Vergunst, Pfleger, wohl wohl! Aber Eil’ thut not!”

“Wirst es wohl erwarten können, Rieder!” gab Vogel zur Antwort und stieg flinker, als man es dem alten Manne zutrauen mochte, vom Pferde. Ein Knecht vom Schlosse kam hinzu und führte den Braunen in den Stall.

Die Bauern wagten in Gegenwart des Pflegers nicht zu lärmen, aber ihre Ungeduld und Erregung gab sich in einem Murmeln kund, das Vogel ganz richtig in Verbindung mit den aufregenden Nachrichten von dem scharfen Vorgehen der fürstlichen Steuerkommission im Lande brachte. Die in ihrer ganzen Existenz schwer bedrohten, aufgerüttelte Leute in Angst und schwerer Sorge nun hinzuhalten, brachte der joviale alte Beamte nicht über das Herz, lieber verzichtet er auf den stärkenden Trunk und nimmt das Anliegen der Bauern vor. Zu dem Rädelsführer gewendet, sprach der Pfleger: “Nun, Rieder, red’! Ich will Euch gleich hier im Burghof hören!”

Die Bauern umringten den Beamten wie ihren Sprecher, Kopf an Kopf standen sie dicht im Kreise. Rieder begann sogleich: “Mit Verlaub! Es ist ein Teufel wie der ander, der Riz wie der Lueger, bei uns herinnen ist’s der Riz, der die Bauern schindet und alles aufhocht (d.h. die Abgaben erhöht). So viel wert ist kein Gehöft und kein Grund, wir müssen verderben dabei, selle neu eingeschatzte Steuer können wir nicht erschwingen!”

“So ist es!” riefen die erregten Bauern.

Und Rieder sprach in großer Beweglichkeit weiter: “Wir müssen supplizieren! Wir begehren einen Brief (eine Verbriefung der alten Rechte) ehnder (bevor) der Riz kommt und der Pfleger muß nun helfen, sonst ist’s g’fehlt!”

Tiefernst blickte Vogel, der die Gefahr der Bewegung im Bergvolk genau erkannte, und langsam sprach er: “Wegen dem Supplizieren kann ich Euch nichts sagen. Schon zu Zell sind die Bürgermeister von den Landgemeinden bei mir gewesen und haben gleichfalls um Verbriefung gebeten. Das ist ja ganz in der Ordnung: Wer ein Anliegen hat, soll mit dem Pfleger reden. Ich kann aber, es thut mir selber leid, nichts in der Sache thun.”

Rieder unterbrach den Beamten: “Dann ist’s g’fehlt! Wir supplizieren zum Fürsten!”

Vogel erwiderte in seiner bedächtigen Art: “Übereilt nichts! Der Herr Riz wird demnächst schon wegen der Urbarsbeschreibung gegen Mittersill, und wenn er daselbst gerichtet, alsdann in das Gericht Zell kommen. Vielleicht wird es doch nicht so schlimm, als Ihr befürchtet!”

Erregt schrie Rieder: “Wer da noch hofft, verliert die eigene Haut! Kommt der Riz und fängt er zu richten an, ist’s g’fehlt und wir sind verloren! Soweit dürfen wir’s nicht kommen lassen! Manner, ich hoff’, es kommt was drunter, ich hoff’, seller Steuerteufel findet den Weg nicht in unser Gericht!”

Besorgt, erschreckt rief der Pfleger: “Leut’, seid gescheit! Die Sach’ ist gefährlich, sie kann Euch noch mehr als Hab’ und Gut kosten! Gerichtet wird überall auf neue Weis’, es wird bei uns, im Zeller Gericht keine Ausnahm’ gemacht werden können!”

“Ein schlechter Trost! Hilft uns der Pfleger nicht, so helfen wir uns selber! Den Teufel lassen wir gleich gar nicht herein, und mit uns supplizieren noch mehrere Gerichte! Sell’ wird der Erzbischof schon dann merken!”

Nochmals mahnte Vogel: “Nehmt Vernunft an, Leute! Ich rat’ Euch nicht dazu, Ihr werdet schlechten Bescheid bekommen! Wie die Sachen liegen, wird die Supplikation für Rebellion angesehen, Ihr für rebellisch gehalten werden!”

“Sell’ sollen sie halten, wie sie wollen! Wir vom Volk haben ein Recht, den Landesherrn um Genade zu bitten, und selles Recht darf uns der Steuerteufel nicht verkümmern!”

In seiner Sorge rief Vogel, ohne viel zu überlegen: “So reicht das Gesuch ein, aber in aller Demut! Der Fürst verträgt kein ander Wort!”

Die Bauern drangen nun in den Pfleger, auf daß er ihnen ein solches Gesuch aufsetze, und Rieder versicherte auf das bestimmteste, daß noch andere Gerichte sich zum Anschluß an die Zeller Bittschrift bereit erklärt hätten.

Der Pfleger verlor die Ruhe, ihm schwante Unheil, da er die Auffassung der Hofkammer wie der Steuerkommission aus dem schriftlichen Verkehr sehr wohl kannte und wußte, wie schlimm die kleinste Weigerung, der leiseste Versuch einer Renitenz schon kriminell beahndet zu werden pflegte. In seiner Bestürzung rief Vogel den rabiaten Bauern zu: “Ich will Euch wohl helfen, Ihr dürft aber nichts sagen, daß ich euch zur demütigen Supplikation geraten!”

Aus der Menge gröhlte ein besonders Unzufriedener: “Selle Demut nutzt uns nixen und die Supplikatur auch nixen! Hauen wir selle Kommission durchs Landl außi, sie vergißt aftn (hernach) schon das Wiederkommen!”

Dieser Meinung schienen noch mehr Bauern zu sein, die den Hetzer lebhaft akklamierten und brüllten: “Z’ammhauen, totschlagen die Bauernschinder!”

Vergeblich suchte der Pfleger mit seiner Stimme im Gewirr durchzudringen und zu beruhigen. Die Mehrzahl tobte und zeterte, ja es fielen Worte, die sogar den alten, ehrlichen Beamten verdächtigten der Mitschuld an der Bauernvernichtung und des Einverständnisses mit der Steuerkommission.

Rieder forderte Ruhe, und den Moment eintretender Stille benützte Pfleger Vogel, um mit tiefbewegter Stimme zu rufen: “Habt Ihr das Vertrauen zum alten Pfleger verloren, der Euren Vätern schon Freund und Helfer gewesen, gut, schlagt mich nur gleich nieder! Der trete vor und steh’ Aug’ in Aug’ zu mir, der mich unehrlich nennen kann! Als Pfleger muß ich Ordnung schaffen und halten, der Fürst und Erzbischof ist mein Herr, seiner Regierung Befehle muß ich, der Pfleger, vollziehen. Bis zu dieser Stund’ bin ich dabei doch der Freund und Helfer der Bauern gewesen! So weh mir ist, der Kommission kann und darf ich mich nicht widersetzen, und die Bauern auch nicht! Der Fürst hat befohlen, er ist unser Herr!”

Rieder schrie dazwischen: “Der kann auch zum Teufel gejagt werden! Ein geldgieriger Verschwender ist er, der Wölfen Dieter! Derweil er mit Weibern das Geld verjubelt, müssen wir verhungern!”

“Schlagt ihn tot! Nieder mit der ganzen Bande!” gröhlten die Rabiaten.

In tiefster Betrübnis ließ Vogel das weißhaarige Haupt sinken; steht es so weit, dann ist an offener Rebellion nicht mehr zu zweifeln. Wehe dem Volk, wenn die Kommission von solcher Stimmung und dem Hasse Kenntnis erhält.

Die wilderregten Bauern begannen abzuziehen, gröhlend schritten sie durch den Burghof den Weg zum Dorf hinab. Nur Rieder blieb noch einen Augenblick beim Pfleger stehen und fragte, wenn er die Schrift haben könne.

Wehmütig sprach Vogel: “Das nützt nun alles nichts mehr! Der Stein ist im Rollen, das Unglück nimmt seinen Lauf!”

“So steht Ihr um in der Stunde der größten Gefahr? Das sollt Ihr büßen, Pfleger! Gehen wir zu Grund, Ihr müßt mit! Aber erst sollen die Teufeln Pinzgauer Fäuste kennen lernen!”

Und weg schritt Rieder, der sonst besonnene Mann, schimpfend und fluchend.

Ächzend vor Weh und Sorge trat Vogel ins Schloß und nahm in dem Gemach, das er auf Dienstreisen stets bewohnte, Aufenthalt.

Lange sann der Pfleger nach, was in dieser schlimmen, gefährlichen Zeit zu thun sei. Daß der am Leben schwer bedrohten Kommission eine Warnung vor dem Betreten des Zeller Gerichtes zugemittelt werden müsse, erachtete Vogel als notwendig, doch ist auch solche Warnung gefährlich, weil möglicherweise die Kommissionsherren sie falsch auffassen könnten, gewissermaßen als Mittel zur Abschreckung, andernteils aber ein Bote von den Rebellen aufgefangen werden könnte, was dem Pfleger wie dem Boten das Leben kosten kann.

Je mehr der treue Beamte nachdachte, desto mehr reifte der Entschluß, das Wagnis selbst zu vollbringen, zur Kommission, die mutmaßlich in Tagesrittnähe sein dürfte, zu eilen und den Rat Riz zu warnen. Vogel nahm schnell einen Schluck Weines und ließ den Braunen satteln. Von einer Amtshandlung nach altem Brauch kann keine Rede mehr sein, die Bauern hören ja nicht mehr auf die Behörde, jegliche Autorität ist vernichtet, die Rebellion herrscht im Pinzgau.

In der Meinung, die Herren der schwer bedrohten Kommission in Mittersill zu treffen, ritt Vogel am Abend das Salzachthal aufwärts und erreichte diesen Ort zur Nachtzeit. Die gesuchten Herren waren nicht in Mittersill. Am scheuen, mißtrauischen Verhalten konnte der greise Beamte erkennen, daß der Geist des Aufruhrs auch hier schon um sich gegriffen hat.

Vogel übernachtete im Schloß zu Mittersill und ritt am nächsten Vormittag wieder nach Kaprun, in dessen Burg er zu seiner größten Überraschung fürstliche Landsknechte unter dem Befehl eines Leutnants Kaiser vorfand.

Kaum aus dem Sattel gestiegen, kündigte der herbeigeholte Offizier dem Pfleger die Verhaftung an, und Vogel ward im altgewohnten Gemach gefangen gesetzt. Aus dem Munde des Offiziers erhielt Vogel die Mitteilung, daß die Kommission vom Aufruhr der Pinzgauer Bauern rechtzeitig Kenntnis bekommen und Hilfe vom Fürsten verlangt habe. An 150 Mann Landsknechte und bewehrte Bürger seien unter Führung des Obersten Walter zu Waltersweil in Eilmärschen über Werfen in den Pinzgau gerückt. Der Leutnant habe in Bruck den Befehl zur Sistierung des Zeller Pflegers erhalten und unterwegs von dessen Aufenthalt im Schloß Kaprun erfahren. Weitere Auskunft wußte der Offizier nicht zu geben, auch nicht zu sagen, weshalb die Verhaftung erfolgt sei und wie lange die Haft dauern werde.

Sorge wegen seines Schicksals empfand der Pfleger nicht, aber der Gedanke an die Bauern und ihr Geschick unter den Händen der Soldateska erfüllte ihn mit Angst.

In Zell am See, dem stillen Ort, sollte sich das Drama der Bauernrebellion und des Einschreitens bewaffneter Macht abspielen.

Obrist Waltersweil hatte vom erbitterten Fürsten den Befehl zur rücksichtslosen Niederwerfung der Rebellion empfangen, und der Soldatenführer ging dementsprechend vor. Trabanten und Landsknechte begannen eine Menschenjagd und fingen die flüchtigen Bauern gleich Hunden ein. Ein Befehl des Obristen zitierte die gesamte männliche Bevölkerung auf den Marktplatz vor dem Pfleggericht in Zell, wohin alle Männer, so sie nicht freiwillig erschienen, zwangsweise geschleppt und von der Soldateska dicht umringt wurden. Ein Entweichen machte der Wald von Spießen im Kreise zur Unmöglichkeit. Der Obrist zu Roß hielt an die eingefangene Rebellenmenge eine grimmige Anrede, hielt den Bauern ihr schändlich Verhalten vor und kündigte schwere Strafe an Leib und Leben an, so die Leute nicht allsogleich dem gnädigen Fürsten Treu und Glauben schwören und unterm Eid geloben, fortan ihres unbefugten Vorhabens abzustehen, gehorsam die auferlegten Steuern zu bezahlen und jegliche Wehr und Waffen abzuliefern, wasmaßen schon der Besitz von Waffen mit fünfzig Gulden pro Kopf gepönt werde. Wer im Geheimb offenbare, daß ein anderer ein Wehr und Waffe verhalte, dem solle eine Belohnung von achtzig Gulden versprochen sein.

In der Angst vor der Hinrichtung durch das Schwert leistete Mann für Mann der gefangenen Bauern den verlangten Eid, die neue Huldigung erfolgte unter solchem militärischen Zwang, worauf der Obrist befahl, die Bauernkerle und unverbesserlichen Rebellen mit Stricken zu binden und nach Salzburg zur Aburteilung zu treiben.

Schreie der Angst, der Wut ertönten; Weiber, Mütter und Töchter zeterten. Rücksichtslos trieben die Spießknechte das Volk von dannen.

Die Bauern wurden gefesselt und truppweise, ohne Verpflegung, auf der Straße über Werfen, Hallein nach Salzburg transportiert.

Wer von Salzburgs Bevölkerung diese kriegsmäßige Exkursion mitgemacht, hatte pro Mann drei Gulden bar und ganze Verpflegung bekommen. Die Waffen mußten nach erfolgter Heimkehr wieder an das fürstliche Zeughaus abgeliefert werden.

Die Rebellen wurden in der Veste interniert und alsdann prozessiert. Der größte Teil wurde wieder entlassen, nur sieben der Rädelsführer blieben für lange Zeit im Gefängnis, drei der obersten Rebellen fanden den Tod durch das Schwert.

Nach Kaprun war der Befehl ergangen, es solle der Pfleger Vogel sich auf Ehrenwort in Salzburg zur Vernehmung stellen. Demgemäß ließ der Leutnant seinen Häftling frei, der sogleich gehorsam in die Hauptstadt sich begab und beim Vizekanzler meldete. Nach drei Tagen erfolgte die zwangsweise Überführung Vogels durch den Profoßen und zwei Schützen in die Festung Hohensalzburg.

Die weiteren Erlebnisse des Pflegers Vogel schildert dieser selbst in einem teilweise erhalten gebliebenen Tagebuche[10] folgendermaßen:

  “Mittwoch, Donnerstag und Freitag, 28. 29. 30. Juni, auch Samstag 1.
  Juli ist besonderes nichts vorgekommen.

  Am Sonntag nach Petri und Pauli den 2. Juli sind die ins Gebürg
  Verordnete sammt den Gefangenen zu Morgens um 9 Uhr auf dem Schlosse
  ankommen.

  Am Donnerstag den 13. Juli bin ich und die andern Gefangenen examinirt
  worden und ich bin des Abends da ich vorher 16 Tage im Caplan-Zimmer
  zu brachte, das bei Tag nicht versperrt gewesen, ins Hausperger-Zimmer
  geschafft worden. Gott schicke es bald zur Erledigung.

  Ist an dato 16. Juli der 25. Tag, daß ich von zu hause fort bin,
  darunter im Schlosse gefangen 19 Tage, habe außer des letzten alle
  Tage 1 Viertel Wein gehabt, thuet 18 Viertel. Montag 17. Juli leider 1
  Viertel, 18. detto mehr 1 Viertel, 19. keinen Wein, 20. 1 Maß Wein,
  21. 1 Halbe, 22. Juli 1 Maß Wein, 23. detto 1 Maß Wein, ist die
  Flaschen nicht viel mehr als halbvoll Wein gewest. Donnerstag 27. Juli
  1 Maß Wein, diesen Tag ist auf Befehl Ihrer hochfürstl. Gnaden durch
  die Herren Commissarii mir anzeigt worden, daß Ihr hochfürstl. Gnaden
  genügsamen Bericht habe, daß ich nicht allein der Unterthanen
  Vorhaben durch den Guthundt erinnert worden, sondern den Unterthanen
  zum Suppliciren selbst gerathen: Sie müßten nur mehr Gerichte an sich
  ziehen, sonst würde es kein Ansehen haben. Ihre hochfürstl. Gnaden
  hätten Ursach auf voriges Verläugnen der Schärfe nach zu verfahren.
  Und dann Gott behüthe einen jeden frommen Menschen. Se. Gnaden wollen
  aber meines Alters verschonen, solle demnach, wie es sich Alles
  verloffen und was mir dieser Sachen halber bewußt sei, selbst
  beschreiben und die Wahrheit anzeigen, solches den Herrn Commissären
  zustellen, sei die Gnade noch unverschlossen, wo nicht, so wollen mich
  Ihr hochfürstl. Gnaden mein Leben lang auf dem Schloß sitzen lassen
  und meinen Kindern Gerhaben[11] verordnen. Ich solle gegen die
  Unterthanen vermeldet haben, sie sollen nicht sagen, daß ich Ihnen
  gerathen, da ich nichts gestehen würde. Also ist Ihrer hochfürstl.
  Gnaden Bericht.

  Freitag den 28. Juli keinen Wein. Samstag 29. Juli 1 Maß Wein, Sonntag
  30. detto 1 Viertel Wein, bisher gefangen 33 Tage. Gott schicke es zum
  Ende.

  Mittwoch 9. August l Maß. An diesem Tage den Herrn Commissarien meine
  Schrift überschickt. Ist diese Nacht, da ich doch zuvor das Wenigste
  nichts gehört, in meinem Zimmer ungestüm gewesen, hat einen
  ungewöhnlichen Fall bei meinem Bett gethan, Gott verleihe mir Gnade.

Am Donnerstag ist St. Lorenztag den 10. August 1 Viertel.

  Freitag 1 Maß. An diesem Tag haben mir die Herren Commissarii aus Ihr
  hochfürstl. Gnaden Zimmer Bethschnüre[12] heruntergeschickt, welche
  ich Ihnen den 12. dieses wieder zurückstellen lassen.

  Freitag 18. dieses 1 Maß, fast betrübt. Mein Pathe, der Jacob Riedl
  schickt mir 2 Viertel Wein. Sonntag den 20. dieses keinen Wein.

  Montag 21. dieses keinen Wein, ist die Schwalbe, so hinvor zwei Sitz
  im Zimmer gehabt, ausblieben.

  Freitag 1 Maß Muskateller und gute Vertröstung baldiger Erledigung.
  Gott schicke es, daß mit Glück erfolge.

  Sonntag den 27. dieses 1 Viertel, ist meine Schwalbe wieder
  ausgeblieben.

Donnerstag 31. August bin ich abermals examinirt worden.

  Kann mich nicht erinnern, daß ich die Unterthanen zum Suppliciren
  angewiesen und angelernt, wie sie es sollen angreifen oder wegen
  meiner Urbargüter gethan haben sollen.

  22 September 1 Maß Wein. Gott erbarme sich und wende meine Betrübniß.
  Des Abends bin ich in den Thurm gelegt worden, O Herr Gott hilf mir
  bald mit Glück wieder daraus.

(Es folgen Tag für Tag Notizen über erhaltenen Wein und Branntwein.)

Donnerstag 12. October 1 Maß Wein, Keuchen[13] ausgekehrt.

  Montag 23., Dienstag den 24. October 1 Maß, diese beiden Tage bei der
  Strenge examinirt, habe bekannt, daß ich nicht allein der Unterthanen
  Suppliciren längst zeitlich gewußt, dessen durch den Carl Rieder,
  Guthundt und andere, die mir abgefallen, bericht worden, sondern Ihnen
  darzu gerathen und daß sie andere Gericht, damit sie nicht für
  Aufwiegler gehalten worden, an sich nehmen sollen. Mittwoch in einem
  Krug Meth, als 1 Maß Wein. Mehr ein Maß Muskateller. Eodem die habe
  ich meine gestrige Aussag gethan, so mir wieder vorgehalten worden,
  unterschrieben.

  Donnerstag den 26. dieses 1/2 Mäßl Branntwein, sonst keinen Wein.
  Freitag 1 Viertel Wein. Eodem die bin ich im Zimmer auf etliche, ich
  hatte ohngefehr fünfundzwanzig, Artikel der angelegten Steuer und
  Urbarsbeschreibung examinirt worden.

  Sonntag 29. October 1/4 Wein, bin nun 38 1/2 Tage am Thurme gelegen
  und diesen Tag hat man mich in ein Stübel im Pfaffenthurm gethan, Gott
  verleihe bald glückselige Erledigung.

Dienstag den 31. October bin ich mehr vor den

  Herren Commissären gewesen und was ich den 22. und 24. October
  ausgesagt, unterschrieben.

  Samstag den 4. November, diese Nacht ist der Hosprofoß im Zimmer
  gelegen.

  Dienstag den 7. November, daran ich das Hochwürdige Sacrament
  empfangen.”

Des Pflegers Tagebuch endet mit diesem Tage. Wie dem Gefangenen zu Mut gewesen, wie scharf er die Situation durch das Erscheinen des Hosprofoßen und dessen Nächtigung im gleichen Zimmer erfaßte, geht aus den erhalten gebliebenen Abschiedsbriefen in erschütternder Weise hervor.

“Herr Ehinger.

  Freundlicher herzlieber Vater und Frau Mutter lasset Alles fleißig
  zahlen, man ist euch viel für mich schuldig und danke auch Gott aller
  Zuthaten. Befehle alle dem lieben Gott, bitte was ich wider euch
  gethan, durch Gottes Willen um Verzeihung und nehme hiemit herzlich
  Urlaub.”

  “Lieber Herr Schwager Zechentuer, ich nehme hiemit von euch und euerer
  Hausfrau, meinen Kindern eurem Vater und sonst allen meniglich
  treulich Urlaub, habe ich was euch oder anderen zuwider gethan, bitte
  ich durch Gottes Willen um christliche Verzeihung, auch daß ihr euch
  die Holzwerkssachen und von dannen herrührenden Rechnungen zu meiner
  Hausfrau und Kinder Besten wollet angelegen, auch in allen mein liebes
  Weib und Kinder besohlen sein lassen, Gott wird es vergelten, ich muß
  sterben, ich muß mich dazu richten, Gott verleihe mir ein gnädiges
  und geduldiges, und wie ich ohne Zweifel hoffe und glaube, am jüngsten
  Tage mit allen christgläubigen Seelen eine freudenreiche Auferstehung
  zum ewigen Leben. Amen. Amen. Amen.”

  “Bitteres Scheiden von meinen lieben Weib und Kindern, auch eurer
  Hausfrau, Vater und andere meine liebe Herren und Freunde. Gott ist
  ein Erkenner aller Menschenherzen, der weiß, ob ich recht oder unrecht
  um das Leben gebracht werde, freundlicher lieber Herr Schwager
  Zehentner, mir, dann dem Stefan Guthundt und Hansen Keil ist gestern
  Abends, jeden absonderlich, daß wir morgen früh mit dem Schwert ohne
  sonderlich Haltung einiges Rechts in der Stille und Geheimniß
  hingerichtet werden, verlesen worden. Ach Herr Gott verleihe uns
  Geduld, ein seliges Ende und das ewige Leben. Amen. Behüthe Gott
  meniglich vor solcher Gefahr, das ist der Lohn meines schier
  40jährigen vielmehr bei Tag und Nacht ausgestandenen Dienst, Gott sei
  es geklagt, also beschlossen, die Zeit meines Lebens ist kurz, bin ich
  guter Hoffnung, es werde mir Niemand mit Grund nichts Unehrbares oder
  Unredliches nachreden können, wollet mich defendiren, noch einmal
  durch Gottes Willen bittend für mein liebes Weib und Kinder werdet die
  Belohnung bei Gott finden. Actum 7. November, bis auf welche Zeit ich
  19 Wochen in großen Banden und Bekümmerniß gefangen gewesen und 2 Uhr
  Nachmittags ist meine letzte Schrift, will sterben wie ein frommer
  Christ, es kann oder mag nich anders sein. Nehmet von mir meniglich
  Urlaub, wider wenn ich gethan, bittet, daß mir dieselben verzeihen,
  ich verzeihe auch meniglich hier im Leben und nach meinem Tode.”

Das Ungeheuerliche geschah, der greise Pfleger Kaspar Vogel ward in aller Stille durch das Schwert hingerichtet. Sein Geständnis, den Bauern eine demütige Bittschrift um Steuernachlaß angeraten zu haben, ward von den Kommissären schon als crimen angesehen, das sich todeswürdig erwies, da erhärtet wurde, daß der Ratschlag Vogels gelautet habe, es solle das Gericht Zell zugleich mit anderen Gerichtssprengeln zum Landesfürsten supplizieren.

Dieses auf so schwachen Füßen stehende Urteil fand die landesherrliche Bestätigung. Wolf Dietrich wollte der Steuer-Rebellion im Gebirge ein gewaltsam rasches Ende bereiten und ein Exempel statuieren, das die Gemüter für immer im Bann halten solle.

Die blutige Bestrafung des Aufstandes rief Entrüstung und Wut hervor, zugleich aber auch Furcht vor dem unbeugsamen Fürsten, es ward im ganzen Lande still.

Die Steuergewaltigen hatten den Sieg erzwungen und konnten nach Willkür einschätzen; die Furcht vor blutiger Strafe schüchterte gründlich ein. Wie von der Hofkammer eingeschätzt, die Steuern dekretiert wurden, zeigt die bittere Bemerkung des Chronisten Steinhauser: “Man hat auch keinem nichts mehr abgeschrieben, wenn er schon vermeldet hat, daß er ärmer sei worden; aber wenn er reicher worden ist, so hat er solches allweg in der Steuerzeit anzeigen müssen, hat er anders gewollt, daß seine Verlassenschaft seinen Erben nach seinem Absterben bleibe. Denn man hat nach eines Abwerben alsbald (sein Haus) gesperrt und inventirt und das allerschlechteste und geringste geschätzt und in einen Anschlag und Hauptsumma gebracht, welche fast viel gemacht hat.”

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Vorwort.  •  I  •  II.  •  III.  •  IV.  •  V.  •  VI.  •  VII.  •  VIII.  •  IX.  •  X.  •  XI.  •  XII.  •  XIII.  •  XIV.  •  XV.  •  Fußnoten

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