Celsissimus
By Arthur Achleitner

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XV.

Dachte Wolf Dietrich stets erhaben von seiner Stellung als Landesherr und Kirchenfürst, war auf Hohes seine Gesinnung allzeit gerichtet, hoch seines Geistes Flug wie kunstbegeistert sein Streben, das nur in leidigen Geldsachen profaniert wurde, die Zumutung zum Beitritt zur Liga unter der Oberhoheit des bayerischen Herzogs, der Versuch, Salzburgs Stiftsherrn einer bayerischen Hegemonie zu unterstellen, mußte das Mediceerblut in Wolf Dietrich zum Wallen bringen, sein Gefühl der Erhabenheit zum Superlativ steigern. Und in solchem Machtgefühle, hochdenkend von eigener Würde und Stellung im Stiftsland wie im Reich, genügte ihm der alte Titel eines Primas von Deutschland nicht mehr; die bayerische Zumutung forderte eine Antwort im höheren Wege, Wolf Dietrich erließ ein Mandat, worin er sich als der erste unter den Erzbischöfen Salzburgs den Titel “celsissimus” (der “erhabenste”) beilegte.

Die Welt ging darob nicht aus den Fugen, Salzburgs Unterthanen nahmen diese Verfügung, die kein Bargeld oder Steuern verlangte, gleichmütig hin; aber in München ärgerte man sich über den “celsissimus”, man verstand diese Antwort und deutete sie als definitive Absage an die Liga.

Als dann dazu noch die Nobilitierung Salomens und die kaiserliche Anerkennung ehelicher Geburtsrechte für Wolf Dietrichs Kinder bekannt wurde, da flammte in Münchens Residenz die Entrüstung in stärkstem Maße auf, auf Befehl des Herzogs ward eine Liste aller Sünden und Frevelthaten des Salzburgers aufgestellt und nach Rom geschickt in der Hoffnung, daß der Papst willfähriger denn der Kaiser sein werde.

Die feindselige Stimmung gegen den Erzbischof hatte übrigens einen empfindlich wirkenden realen Untergrund, die Salzfrage, die noch immer nicht nach Wunsch Bayerns geregelt war. Im Gegenteil wirkte der Pilsener Vertrag zwischen Salzburg und dem Kaiser sowie das Geschenk des Erzbischofs direkt schädlich auf den bayerischen Salzhandel und dadurch auf einen Teil der herzoglichen Einkünfte. Durch den Pilsener Vertrag und das Geschenk an Holz wurde die Erzeugung des kaiserlichen Salzes zu Ischl so sehr gefördert, daß es dem Kaiser möglich ward, die Konkurrenz des bayerisch-salzburgischen Salzes besonders in Böhmen, wo bisher Bayern den Markt beherrscht hatte, zu überwinden.

Zudem war Herzog Maximilian auch hinsichtlich der Hallfahrten stets im Nachteil, den seine Räte erst hinterdrein entdeckten. Der Salzverschleiß bayerischerseits ging stetig zurück, man konnte die Masse Salz, welche vertragsmäßig von Salzburg zu übernehmen war, nicht mehr plazieren, und so unangenehm dies dem Herzog sein mußte: er war gezwungen, um Minderung der Salzübernahmen nachzusuchen, also täglich nur drei statt fünf Hallfahrten zu übernehmen.

Das konnte Wolf Dietrich genehmigen, denn die Vertragsklausel besagte: “unbeschadet seiner Gefälle”, es mußte daher der Herzog die Summe von 34500 Gulden bezahlen, welche Summe ungefähr dem Wert der zwei nachgelassenen Hallfahrten entsprach. So hieß es zahlen, und dabei bezog der Herzog nicht einmal die Salzmenge für seine Summe. Die Verhältnisse im Salzabsatz wurden aber immer schlimmer, Wolf Dietrich mußte um Reduktion der Hallfahrten auf deren zwei gebeten werden und jede Hallfahrt betrug jetzt 21000 Gulden, die in sieben Raten bezahlt werden mußten.

So kam es dazu, daß Herzog Maximilian an Salzburg jährlich 38000 Gulden übergeben mußte, ohne irgend etwas dafür zu erhalten. Das mochte den Herzog wohl noch weit mehr wurmen als der abgelehnte Beitritt zur Liga.

Die Chikanen begannen, Herzog Maximilian rächte sich, indem er wohl zahlte nach Verpflichtung, doch wählte er im Gefühl, übervorteilt zu sein, schlechte Münze, und außerdem machte nun auch der Bayer Gebrauch von der kaiserlichen Erlaubnis einer Zollerhöhung, die bei Wiederbeginn der Hallfahrten auch auf die sogenannten Salzfertiger, das heißt die im Dienst des Erzstiftes stehenden Spediteure und Kaufleute, welche das Salz in Hallein übernahmen und zu Schiff an die bayerischen Legstätten führten, ausgedehnt wurde.

Bisher war es üblich, daß diese Salzfertiger bei Ablieferung des Halleiner Salzes von den bayrischen Salzbeamten den Lohn für ihre Spedition und außerdem eine Vergütung des formellen Zolles, den sie zuvor an die bayerischen Behörden gezahlt hatten, erhielten. Mit einem Federstrich wurden diese Leute mit einem Jahreszoll von 8000 Gulden belastet, und nun ward Sturm gelaufen zum Erzbischof-Landesherrn, der denn auch sogleich seinen energischen Protest nach München schickte und ganz richtig auseinandersetzte, daß nicht die Fertiger, sondern Bayern selbst Eigentümer des zu Hallein erworbenen Salzes sei; wenn man also, so schrieb Wolf Dietrich ironisch, den Zoll, wie es doch billig und recht wäre, von dem Eigentümer fordern wolle, so müßte der Herzog ihn eher von sich selbst als von den Fertigern fordern.

Die Antwort auf dieses Protestschreiben war ein starres “Nein”, worauf Wolf Dietrich mit einer Salzsperre drohte und sich vom Ärger hinreißen ließ, zu erklären: der Herzog könne das Halleiner Salz nehmen oder auch nicht; wolle er solches beziehen, so könne er es gegen monatliche Barzahlung haben, weiterhin aber werde sich der Erzbischof in keinen Vertrag mit Bayern mehr einlassen. In seiner Entrüstung hatte Wolf Dietrich an etwaige Folgen dieser Erklärung gar nicht gedacht. Als Lamberg sowie die salzburgischen Räte hiervon erfuhren, war Wolf Dietrich wohl schon wieder ruhiger geworden, aber die Konsequenzen waren bereits reif: Bayern ließ dem Erzbischof kühl, doch mit unverkennbarer Schadenfreude wissen, daß die Nichtigkeitserklärung der Salzverträge gerne zur Kenntnis genommen worden sei.

Wolf Dietrich erkannte, freilich zu spät, den in der Übereilung verübten Fehler, und berief seine Räte, die nun einen Ausweg aus der fatalen Klemme finden sollten. So erregt der Fürst auch war, er zwang sich dazu, die oft weitschweifigen Erörterungen seiner Räte ruhig anzuhören, doch sein immer lebhafter Geist arbeitete dabei unausgesetzt, dem Feind zu München irgendwie Schach zu bieten. Und mitten in der Sitzung fand Wolf Dietrich einen Ausweg, unvermittelt rief er den verdutzten Räten zu: “Ich bringe mein Salz direkt nach Böhmen! Schafft mir den Baumeister für Straßenbau zur Stelle!” Und hitzig wie immer erläuterte der Fürst sein neues Projekt: Bau einer neuen Straße von Salzburg nach Skt. Wolfgang, Verfrachtung des Salzes dorthin zu Wagen, und ab dort in eigens zu konstruierenden Fässern auf Saumtieren nach Böhmen. Auf diese Weise könne Bayern umgangen, der Salzzoll erspart werden.

Der klug ersonnene Plan wurde unverzüglich ins Werk gesetzt, Tausende von Arbeitern wurden aufgeboten, der Straßenbau begonnen, der bei Gnigl aufwärts zum sogenannten Guckinsthal und hinüber zum Wolfgangssee führte.

Wo ein Wolf Dietrich zur Eile trieb, ging jede Arbeit beflügelt von statten, und dieser Straßenbau mußte auf fürstlichen Befehl beschleunigt werden.

Auf der Salzach erstarb der Schiffverkehr, die Salzplätten kamen nur noch bis Salzburg, an der Einlände daselbst wurde umgeladen, die Salzwagen fuhren auf der notdürftig fahrbar gemachten Straße nach Skt. Wolfgang, wo eine gewaltige Zahl von rasch beschafften Saumtieren und Rossen stationiert worden war.

Bald bekam der Herzog von Bayern diese Transportverlegung zu spüren. Mit seinen eigenen Salzvorräten aus dem Berchtesgadener Sudwerk konnte er den Bedarf keineswegs decken, es trat Salzmangel in Bayern ein und mit dem Mangel eine rasch wachsende Preissteigerung. Maximilian verlegte sich auf die Bitte um Aussöhnung, aber Wolf Dietrich lehnte jede Vermittelung ab und wollte vom Nachbar nichts mehr wissen.

In solcher Notlage wollte der Herzog die Salzausfuhr durch Bayern erzwingen, indem er beim Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich und bei Kaiser Rudolf darauf drang, daß diese Machthaber das Halleiner Salz nicht über ihre Landesgrenzen lassen möchten.

Allein Erzherzog Ferdinand erkannte, daß der Salzhandel für sein Land von großem Nutzen zu werden versprach, und lehnte das bayerische Andringen ab. Desgleichen fand Kaiser Rudolf die Zufuhr des salzburgischen Salzes trotz der Erträgnisse des Ischler Sudwerkes für Böhmen nötig, und in dieser Erkenntnis wies auch der Kaiser die Forderung Maximilians zurück.

So kam der Bayer immer mehr in Verlegenheit. Seine Räte befürworteten die Nachahmung von Wolf Dietrichs Beispiel eines Straßenbaues, um auf einem, salzburgisches Gebiet nicht berührenden, neuen Wege das Salz von Berchtesgaden nach Bayern zu bringen. Das geschah, der Herzog bot 1000 Mann auf zu diesem Straßenbau und errichtete in Berchtesgaden eine neue Pfanne, um das Salz rascher versieden zu können[18].

Kaum hörte Wolf Dietrich hiervon, befahl er ingrimmig, nun auch noch einen neuen Ausweg nach Tirol zu schaffen, außerdem wurde angeordnet, Getreide, Wein und andere Waren nicht mehr durch Bayern, sondern von Böhmen–Innerösterreich via Skt. Wolfgang und von Venedig–Tirol auf neuen Wegen einzuführen.

So trieb ein Keil den anderen; die Räte Salzburgs und Münchens verhandelten und schrieben unentwegt hin und her, es regnete Proteste hüben und drüben, bis Wolf Dietrich gebot, daß seine Forstbeamten dem Sudwerk Reichenhall fernerhin das vertragsmäßige Holz nicht mehr liefern dürfen. Alle Salzfertiger wurden abgeschafft, die salzburgischen Unterthanen in Bayern und die bayerischen Staatsangehörigen in Salzburg durften keinerlei Salzgeschäfte mehr betreiben unter Androhung der schwersten Geldstrafen.

Dieser Salzstreit erregte in ganz Deutschland Interesse; die Fürsten der Union begannen sich auf Salzburgs Seite zu stellen, die Liga suchte Maximilian zu unterstützen. Gesandte der Unionfürsten kamen nach Salzburg, die Reichsstadt Nürnberg mengte sich ein und bot dem Erzbischof Beistand an.

Wolf Dietrich stand schon in früheren Jahren in schriftlichem Verkehr mit dem genialen Diplomaten und Statthalter der Oberpfalz, dem geistreichen Fürsten Christian von Anhalt, der die Seele der Unions-Bewegung war.

Christian hielt den Zeitpunkt wie den Streit zwischen Salzburg-Bayern für günstig, den Erzbischof, der von der Liga nichts wissen wollte, zur Union herüberzuziehen, Unterstützung anzubieten, und so liefen zahlreiche Briefe sowohl an Wolf Dietrich, wie an seinen Kanzler Dr. Kurz in Salzburg ein, auch wurden solche Depeschenreiter von Bayern abgefangen, die Briefe an den Herzog eingeliefert.

Im Palais zu Salzburg herrschte demgemäß fieberhafte Thätigkeit und eine gefährliche, überreizte Stimmung, von der sich Wolf Dietrich des Abends zu befreien suchte, indem er Salome und die Kinder im Schloß Altenau aussuchte. Allein, gewohnt mit Salome auch politische Dinge zu besprechen, kam es doch dazu, daß Wolf Dietrich mit der Freundin auch den Salzstreit erörterte und dabei sich zu Äußerungen hinreißen ließ, die Salome in Angst und Schrecken versetzen mußten. Die kluge, weitausschauende Frau erkannte die Gefahr, wenn es zu einem Austrag des Streites mit Waffen kommen sollte, sie warnte in vorsichtig gewählten Worten vor einem Krieg.

An einem Abend war es, daß nach dem Imbiß Wolf Dietrich mit Salome im Park von Altenau spazieren ging. Der Fürst war erregt schon ins Schloß gekommen, hatte während des Mahles fast kein Wort für die sonst liebevoll behandelten Kinder und hob die Tafel früh auf. Nun Wolf Dietrich an der Seite Salomens promenierte, wagte die Freundin es, zu fragen, ob schlimme Nachrichten eingetroffen seien, die dem gnädigen Herrn die Ruhe und den Frieden rauben.

Aufbrausend, mit den Händen gestikulierend, rief der Fürst: “Ob schlimm, ich weiß es nicht zu deuten! Der Anhaltiner schickt mir neue Botschaft, will etzlich Fähnlein mir gewähren, so ich dem leidig Streit ein Ende mache und die Propstei dem Bayer nehme.”

Erschreckt fiel Salome ein: “Thut das nicht, gnädiger Herr, um aller Heiligen Willen nicht! Es würd’ zum Unglück nur für uns!”

“Was hast du zu befürchten? Gerüstet hab’ ich in aller Stille, befestigt die Grenzen gegen Bayern, das Maß ist voll und unerträglich geworden der Streit. Habe ich Berchtesgaden, die Propstei sehnt seit langem sich nach Inkorporierung mit dem Erzstift, ist aus der Salzstreit, und der Herzog mag um Gnade bitten!”

“O, gnädiger Herr! Verbannet solch’ gefährlichen Gedanken! Nimmer wird der Herzog solchen Streich hinnehmen, wird anrücken mit großer Macht und rächen solche That!”

“Pah! So schnell wird Kriegsvolk er nicht auf die Füße bringen! Ich habe gut an tausend Mann bereit zum Einmarsch in die Propstei, gehuldigt kann sein, ehe der Herzog nur ein Roß von München in Bewegung setzt!”

“Großer Gott! Verbannt den unglückseligen Gedanken aus Eurer Brust! Zu klein ist Salzburgs Macht, weit reicht des Herzogs Arm, Tilly ist sein Feldherr und stark sein Kriegsvolk!”

“Was schert mich der grünseidne Marschall! Hab’ ich die Propstei als Faustpfand, kann dekretieren ich den Frieden, und die Union steht mir bei!”

“Traut dieser nicht, Herr und Gebieter! Sie will im Trüben fischen, Salzburgs Erzstift auf ihre Seite bringen und pochen dann darauf, daß abfällt das Stift von Rom!”

Wolf Dietrich stutzte, hielt an den Schritt, blickte Salome ins Auge, und sprach: “Davon kann nie die Rede sein, den Glauben werde niemals ich wechseln!”

“Nur darauf zielt das Streben der Union, glaubt mir, mein gnädiger Herr!”

“Was weiß ein Weib von solchen Dingen! Die Hilfe nehm’ ich, zahle die Fähnlein, und basta! Der Union sonstige Aspirationen kümmern mich nichts!”

“Verzeiht ein Wort: Denkt an Rom! Widersacher hat das Erzstift genug, verdächtigt ist geschwind und rasch kann fällen Rom ein Urteil....”

“Ich frag’ auch um Rom nicht viel! Hat Rom mir je im Streit geholfen? Steht der Nuntius nicht allzeit bei dem frumben Max? Sollen aus München machen ein neues Rom und die Häuser pfropfen mit Jesuiten, ich will’s nicht hindern! Doch hier auf stiftischem Boden gebeut ich, und mein Land wird nimmer bayerisch!”

“O, sprecht mit Lamberg erst, mein gnädiger Herr! Auch Lodron kennt die vielverschlungenen Pfade Münchens! Hört diese Herren, Fürst!”

“Ich bin müde dieses ständigen Gezettels! Das Faustpfand nehm’ ich, Obrist Ehrgott ist derselben Meinung!”

In höchster Bestürzung vollführte Salome einen Kniefall vor dem Fürsten und rief mit flehend erhobenen Händen: “Höret nimmer auf Soldatenwort! Denkt an die Kinder, die Heimat und das Vaterhaus verlieren, so anrückt der ergrimmte Bayer!”

“Du siehst zu schwarz in deiner ängstlich Sorge!” sprach mild der Fürst und hob Salome zu sich empor. “Die treulich Mutterliebe spricht aus dir, die Sorge macht dir alle Ehre! Doch bleibe du in deinem Heim, betreue mir die Kleinen, halte gut mir Haus, indessen ich den Bayer zwinge!”

Einen letzten Versuch der Umstimmung wagend, erwiderte Salome: “Könnte verwiesen werden bemeldter Streit nicht an ein Schiedsgericht der deutschen Fürsten?”

“Wohl, ein guter Gedanke! Aber erst, wenn ich das Faustpfand habe, und das soll Ehrgott und Hauptmann Auer holen mir sobald als möglich!”

Seufzend ergab sich Salome ins Unvermeidliche und begleitete den kriegslustig gewordenen Gebieter ins Schloß. Bald darauf verließ Wolf Dietrich Altenau und begab sich in sein Palais, wo Obrist Ehrgott und Hauptmann Auer auftragsgemäß bereits des Fürsten harrten.

Zum erstenmal unter der Regierung Wolf Dietrichs betraten sein Arbeitsgemach Kriegsleute zu einer Beratung. Der Talar hat dem militärischen Kleide weichen müssen.

Der Fürst fand Gefallen an der neuen Art einer Beratung mit den Offizieren, die stumm zuhörten und zum Schlusse in knappen Worten gelobten, den hochfürstlichen Befehl getreu zu vollziehen. Das klang anders, ergebungsvoller, gehorsamer als die höflichen, doch immer etwas ärgerlichen Erwägungen, Einwände, und Befürchtungen der Kammerräte und Domherren.

Einen Augenblick gedachte Wolf Dietrich der Landstände, die er seit langen Jahren nimmer berufen und gefragt, und ein ironisches Lächeln huschte über des Fürsten Lippen. Zu den Offizieren gewendet, resumierte der Erzbischof: “Also nochmals: Keine Gewalt, aber Abnahme jeglicher Waffen im Gebiet der Propstei. Die Brücke bei Reichenhall wird bis spätestens morgen abend abgebrochen; der neue Weg von Berchtesgaden nach Bayern wird unbrauchbar gemacht, tragt ihn ab, verrammelt ihn. Kein waffenfähiger Mann darf das Gebiet von Berchtesgaden verlassen. Aufstand wird niedergeworfen. Soviel für die nächste Zeit! Weitere Befehle erfolgen nach eingeschicktem Bericht! Ihr marschieret noch in heutiger Nacht mit tausend Mann Musketieren und Pikenieren nach Berchtesgaden ab! Gott befohlen!”

Die Offiziere verbeugten sich, gelobten getreulich Erfüllung des Befehles und verließen sogleich die Residenz.

Schon am zweiten Tage nach dem in der Nacht zum 8. Oktober 1611 erfolgten Einmarsch der salzburgischen Militärmacht wurde dem Fürsten der Bericht des Obristen Ehrgott eingehändigt, eine kurze Meldung, daß der fürstliche Befehl aufs genaueste und ohne Blutvergießen vollzogen, die Propstei also in Händen Salzburgs sei. Dem Bericht war die Anfrage beigefügt, ob der Obrist das Volk von Berchtesgaden und die bayerischen Verwaltungsbeamten zur Erbhuldigung auf Salzburgs Fürsten zwingen solle.

Lange blieb Wolf Dietrichs Feuerauge auf diesen Zeilen gerichtet, eine bängliche Stimmung erfaßte den Fürsten, eine Scheu vor solcher Gewaltthat. Eine erzwungene Erbhuldigung müßte den Herzog maßlos erbittern, die Reichsstände rebellisch machen. Davor scheute nun Wolf Dietrich doch zurück; aber ärgern möchte er den Nachbar, ärgern bis schier zum Zerplatzen. Und in dieser Absicht erinnerte sich der Erzbischof, der bei aller ihm eigenen Genialität und Verstandesschärfe den Herzog Maximilian gründlich verkannte und ganz irrig beurteilte, der Worte Salomens betreffend Überweisung des Salzstreites an ein Schiedsgericht.

Der Stiftskanzler Dr. Kurz wurde zum Fürsten citiert und mußte an den Herzog schreiben, daß Celsissimus Wolf Dietrich, Fürst und Erzbischof von Salzburg, Primas von Deutschland und Hochfürstliche Gnaden einwillige in ein Schiedsgericht, so dasselbe gebildet werde aus den durch den Salzstreit beeinträchtigten Reichsständen.

Als dieses gefährliche Schreiben abgegangen, erzählte Wolf Dietrich im Hochgefühle, durch den beißenden Spott den bayerischen Gegner grimmig geärgert zu haben, seinem Freunde Lamberg davon in einer Stunde trauter Zwiesprache und rieb sich vergnügt die Hände.

Graf Lamberg aber zeigte eine geradezu bestürzte Miene und ernst klangen seine Worte, als er sprach: “Hochfürstliche Gnaden, das war, submissest sag’ ich das in treuer Ergebenheit, ein schlimmer Brief, der den Herzog schwer kränken, zu einer Gewaltthat reizen muß!”

Wolf Dietrich fuhr auf: “Soll er! So viel Kriegsmacht wie der Bayer hab’ ich auch, und mein Ehrgott wird ihn zu schlagen wissen!”

“Gnädiger Herr! Zum Kriegführen gehört vor allem Geld, und zu viel hat das Passauer Kriegsvolk bereits gekostet! Irre ich nicht, verschlang die Truppe in der langen Waffenzeit unter Waffen reichlich 200000 Gulden!”

“Das ist richtig! Soll eben das Kapitel diesmal helfen!”

Lamberg, der die feindselige Stimmung des Domkapitels gegen den Erzbischof nur zu gut kannte und daher wußte, daß das Kapitel nicht einen Gulden für den leichtsinnig heraufbeschworenen Konflikt mit Bayern bewilligen werde, wollte dies dem Fürsten nicht direkt sagen, immerhin aber versuchen, Wolf Dietrich über die furchtbare Gefahr die Augen zu öffnen. So deutete denn Lamberg an, daß Herzog Max sich wegen Bruchs der Reichskonstitutionen und des Landfriedens an den Kaiser werde wenden.

Der Erzbischof lachte hellauf, spöttisch erwiderte er dann: “Da kommt der Bayer just an den Rechten! Ein Kaiser ohne Land, krank, verbittert, ein Spielball in den Händen seiner geliebten Jesuiten, der wird froh sein, wenn man ihn lasset unbehelligt.”

“Es besteht auch die Möglichkeit, daß Herzog Max sich nach Speyer an das Reichskammergericht wendet!”

Wieder lachte Wolf Dietrich: “Dann kann der Bayer warten bis zum jüngsten Tag; früher bekommt er von Speyer keinen Bescheid!”

“Hochfürstliche Gnaden glauben also, daß der Herzog sich die Wegnahme Berchtesgadens wird ruhig gefallen lassen?”

“Ob ruhig oder nicht, das Faktum ist geschaffen, und ich gebe das Faustpfand nicht früher heraus, bis der Bayer um gut Wetter bittet, meine Bedingungen erfüllet Punkt für Punkt!”

Tiefernst blickte Lamberg den Fürsten an und traurig sprach er: “Dann, Hochfürstliche Gnaden, ist meine Mission als treuer Rat beendet. Ich sehe nur ein Ende mit Schrecken, keine Rettung für das Erzstift, das der Herzog wird mit Krieg überziehen und–”

“Und?”

“Erlaßt mir das harte Wort, gnädiger Herr!”

“Ein echter Freund muß auch ein solches Wort offen sagen!”

“Ich kann es nicht bringen über die Lippen. Wollen Hochfürstliche Gnaden nur selbst ein wenig in sich gehen, die logische Konsequenz aus einem Kriege Bayerns gegen Salzburg zu ziehen, ist nimmer schwer....”

“Du krächzest Unheil, Rabe! Mein Freund ist Er gewesen, so er des Bayers Sieg wünschet über das Erzstift!”

“Gott behüte mich in meinen innersten Gedanken! Wie kann in Treuen der Unterthan wünschen den Sturz des geliebten Fürsten!”

Wolf Dietrich erblaßte, er zitterte am ganzen Leibe, bebend klangen seine Worte: “Du glaubst–an meinen–Sturz?!”

“Ich fürchte solches Ende! Der Salzkrieg kann nimmer anders enden! In letzter Stunde steh’ ich zu Euch, gnädiger Fürst und Herr! Ich beschwöre Euch als stets erprobter treuer Freund: Widerrufet den unglückseligen Brief, gebet nach! Denkt an Salome, an die Kinder! Verliert Ihr den Thron, das Erzstift, ist alles verloren! Des Bayers Rache wird sein unerbittlich, sie wird verfolgen Salome, die Kinder, wird sie zu Bettlern machen, verfemt, verstoßen! Und Rom verläßt Euch, so der Bayer siegt! Glaubt meinen Worten, gnädiger Herr! Ich beschwöre Euch in dieser letzten Stunde!”

“Genug! Ich durchschaue dich, wie längst mißtraute ich auch dem Kapitel! Blasse Angst ist’s, schnöde Furcht, daß kosten könnte der Krieg dem Kapitel blanke Batzen! Abhalten wollt Ihr mich, den Bayer zu lehren Mores! Renitenz war immer wahrzunehmen, Trug und Falschheit im Talar! Doch noch bin ich der Herr und ich gebiete! Ich zwinge das Kapitel, wie ich noch jeden Feind bezwungen! Mit Gewalt werf’ ich Euch nieder und den Bayer!”

Lamberg beugte das Knie vor dem Fürsten und rief: “Nehmt mein Leben, Herr, zerschmettert mich, doch eh’ der letzte Atem mir entflieht, hört das letzte Wort: Gebt nach! Es wird Unheil für Euch!”

Schrill klang es von Wolf Dietrichs zuckenden Lippen: “Ich trotz’ allen! Fürst und Herr bin und bleib’ ich! Mich schreckt kein Gewinsel! Weib und Kinder werd’ ich zu schützen wissen! An dich ein letztes Wort: Bring’ den Kriegsschatz mir vom Domkapitel! Das sei die Probe, ob echt ist deine Freundschaft!”

Todesbleich erhob sich Lamberg, schmerzverzerrt waren seine Züge, er zitterte, in abgerufenen Sätzen erwiderte der schwergekränkte Freund: “Mein Hab’ und Gut, was ich erspart und sonst mein eigen nenne, es ist Euer, gnädiger Herr, verfüget darüber bis zum letzten Heller!–Dem Kapitel werd’ ich melden des Fürsten Begehr! Ich fürchte....”

“Ich weiß genug! Feig und hinterlistig sind sie alle, Verräter!”

Ein gebieterischer Wink des erzürnten Fürsten, und Lamberg wankte aus dem Gemach. Trotz erlittener Kränkung und Schmach wollte der treue Freund nach Möglichkeit dem Gebieter beistehen, Lamberg suchte die beiden Lodron, den Domdechant v. Weittingen, die Kanoniker Törring, Wolkenstein und Freyberg auf, er flehte Kuenburg, Schrattenbach und Welsberg an, dem Fürsten die Hilfe zu gewähren, allein das Kapitel war dem harten Gebieter zu sehr abgeneigt, verbittert, niemand wollte aus Kapitelfonds Mittel zu einem leichtfertig vom Zaune gebrochenen Krieg bewilligen. Das hatte der weitausblickende Graf Lamberg im voraus gewußt, dennoch schmerzte es ihn bitter, den Herrn verlassen zu sehen in der Stunde der Gefahr und Not. Einen Schritt noch wollte der treue Freund unternehmen: Salome warnen, ihr rechtzeitige Flucht unter Mitnahme ihres Eigentums anraten, die fürstlichen Kinder in Sicherheit bringen. So eilte denn Lamberg in das Schloß Altenau und ließ sich bei der Fürstin melden. Allein da Wolf Dietrich bei seiner Familie weilte, wurde der Warner nicht angenommen, der vergrämte Fürst ließ Lamberg im Namen Salomes wissen, daß zu einem Empfang kein Anlaß vorliege.

“Jacta est alea!” flüsterte der treue Freund und kehrte über die Salzachbrücke in die innere Stadt zurück.

Wolf Dietrich ließ mobilisieren; von Salzburgs Bürgerschaft wurden 400 Mann bewehrt, im ganzen Stiftsland wurden waffenfähige Leute ausgehoben und bewehrt an verschiedene Posten verteilt, so 100 Mann nach Mattsee, 100 längs der bayerischen Grenze, etlich 100 nach Laufen, 170 nach Tittmoning, etlich 100 auf Rauschenberg, ebenso viel nach Lofer und Glanegg u.s.w. Die Vorstadt Mühlen bekam 800 Mann Besatzung, der Mönchsberg 300, der Nonnberg 200, die Thore, welche die Zufahrt zur Salzachbrücke schützten, wurden mit 600 Mann bewehrt, die Schranne mit 100 Mann, die Traidkästen mit 700 Mann belegt.

Inmitten dieses kriegerischen Getriebes fühlte sich Wolf Dietrich, der in seiner Verblendung den kriegserfahrenen Herzog Max gänzlich unterschätzte, nicht nur sicher, er ward geradezu übermütig, als ihm gemeldet wurde, daß insgesamt 13000 Mann Bürger, Bauer und Kriegsvolk zu seinem Schutz in Waffen ständen. So harrte der Fürst eines Angriffes von Bayern her, doch kam weiter nichts als ein Schreiben des Herzogs, und zwar nicht mehr an den Fürsten, sondern an das Domkapitel. Herzog Max mochte wohl über die im Kapitel herrschende Stimmung unterrichtet gewesen sein, daß er nun eine Auseinandersetzung mit den Kapitularen und Kanonikern anstrebte, bevor die Waffen sprechen sollten.

Eine Kapitelsitzung fand sogleich statt und ergab das Resultat, daß Dompropst Anton Graf Lodron beauftragt wurde, das herzogliche Schreiben dem Erzbischof zu überreichen, um jeglichen Schein einer Falschheit zu beseitigen.

Brüsk empfing Wolf Dietrich den Propst und fragte sogleich, ob das Kapitel bereit sei, dem Fürsten Hilfe zu gewähren.

Graf Lodron erwiderte: “Gewiß ist das Kapitel bereit, den gnädigen Herrn und Fürsten zu unterstützen!”

“Wie? Also doch?! Lamberg hat mich des Gegenteils versichert!”

“Hochfürstliche Gnaden wollen recht verstehen: das Kapitel bietet seine Hilfe an zum schriftlichen Austrag der Streitsache auf Grund des eingelaufenen herzoglichen Schreibens, das zu überreichen ich vom Kapitel beauftragt bin!”

Zornerfüllt, ergrimmt über solche Enttäuschung rief Wolf Dietrich: “Vom Kapitel brauch’ ich zum Kriege Geld! Eure Weisheit könnt für Euch selbst behalten Ihr! Und ahnden werd’ ich, daß hinter meinem Rücken wird verhandelt! Das Kapitel hat, so gebiet’ ich, der Fürst und Herr, sich aller weiteren Verhandlungen zu entschlagen! Ich habe mir nimmer von den alten Domherren Vorschriften machen lassen, erst recht nicht von dem jungen Nachwuchs! Das ist meine Antwort auf Euer falsch Gethue!”

Würdevoll legte Graf Lodron das herzogliche Schreiben auf den Tisch des Fürsten, verbeugte sich, sprach ernst und bedeutungsvoll: “Ich habe im Namen des Kapitels gesprochen, dessen Hilfe in bemeldter Sache angeboten. Das weitere zu befinden, wird das Kapitel nicht müßig sein." Der Dompropst erwies dem Erzbischof alle gebührenden fürstlichen Ehren und ging.

Wolf Dietrich konnte im stillen Gemach seine Wut austoben lassen. Zum Abend ward er ruhiger und konzipierte selbst die Antwort für das Kapitel auf das bayerische Schreiben, in welchem Max den Nachweis für die Widerrechtlichkeit der vom Fürsten vorgenommenen Schritte darzulegen bemüht war.

Dieses Konzept überbrachte am nächsten Morgen der Untermarschall des Erzbischofs Thomas Perger, der Kanzler Dr. Kurz nebst dem Vizekanzler, Licentiat Gruber, dem Kapitel, und in einer ad hoc einberufenen Sitzung gab der Kanzler die Erklärung des Fürsten ab, daß der Erzbischof das Kapitel wie das Erzstift gegen alle Feinde genugsam zu schützen wissen werde. Das fürstliche Konzept wurde verlesen und verworfen. Man entließ die Sendboten Wolf Dietrichs mit dem Bescheide, daß das Kapitel es besser erachte, die Antwort an den Herzog von Bayern selbst abzufassen.

Ein feierlicher Moment folgte, als die Herren sich entfernt hatten, sämtliche Kapitelherren schwuren auf das Evangelium, einander in dieser Gefahr treu und fest beizustehen. Dann wurde beschlossen, schriftlich den Herzog von Bayern zu ersuchen, daß er die Gelegenheit benutzen möge, um das Erzstift vom Untergang zu retten. Ein Kammerbote mußte auf flinkem Roß dieses Schriftstück nach Burghausen bringen, wo der Herzog weilte und seine Kriegsmacht zusammenzog.

Der trübe Oktobertag neigte zur Rüste, da verbreitete sich mit Windeseile in der Stadt Salzburg die Schreckenskunde, daß Herzog Max Mühldorf bereits eingenommen, sich dort habe huldigen lassen, und nun in Eilmärschen mit 20000 Mann gegen Laufen rücke. Ein allgemeiner Wirrwarr entstand in Salzburg, ein Schrecken, der die Leute das ärgste befürchten ließ, so daß Begüterte zur Flucht sich rüsteten und viele Bürger Miene machten, die Waffen wegzuwerfen.

Die Alarmkunde drang auch in die Residenz und erschreckte Wolf Dietrich so sehr, daß er um seinen Weihbischof Claudius schickte und inzwischen in fliegender Hast einen Brief entwarf, worin er den Herzog um Frieden bat, ohne jedoch Zugeständnisse von Belang zu geben. Mit diesem Briefe mußte der Weihbischof eiligst dem Herzog entgegenfahren. Nach dessen Abreise ward der Fürst wieder ruhiger, und am nächsten Morgen dachte er an keine Gefahr mehr, von der Überzeugung durchdrungen, daß der Brief seine Wirkung thun, den Herzog zur Umkehr veranlagen werde.

Um 9 Uhr morgens erschien das Kapitel in der Residenz und ließ feierlich um Audienz bitten, die sofort gewährt wurde. Der Fürst zeigte sich aber ungnädig und befahl, es mögen sich die Herren kurz fassen.

Domdechant v. Weittingen nahm das Wort, führte aus, daß das Kapitel den Frieden selbst betreiben möchte, weshalb Hochfürstliche Gnaden erlauben möge, daß vier Kapitulare zum Herzog reisen dürfen.

Barsch rief der Erzbischof: “Nein, das erlaube ich nimmer! Das Kapitel versteht von bemeldter Sache nichts und hat kein Interesse daran! Ich bin nicht gesonnen, dem Herzog das Holz zum Sieden zu geben, so lange nicht, bis ich ein ander Wasser trinke! Dabei bleibt es, und die Herren mögen sich nach Hause begeben!”

Steif verneigten sich die Kapitelherren, eisig kühl entfernten sie sich.

Diese Ruhe imponierte Wolf Dietrich ungleich mehr, als wenn die Kapitulare stürmischen Protest erhoben hätten. Sie schüchterte den Fürsten geradezu ein, und in seiner Angst ließ er den eben heimgeschickten Domdechant Bitten, schleunigst in die Residenz zu kommen.

Weittingen gehorchte sofort und erstaunte nicht wenig, als Wolf Dietrich ihn bat, zum Herzog zu reisen und über den Frieden zu verhandeln, zu welchem Zweck der Fürst dem Dechant eine Legitimation einhändigte.

Kaum war Weittingen fort, ließ der Erzbischof den Kapitular von Freyberg holen, klagte diesem seine Beängstigung und bat ihn, ebenfalls zum Herzog zu reisen und den Frieden zu betreiben.

Noch am selben Abend erhielt Wolf Dietrich ein Schreiben des Erzherzogs Ferdinand von Innerösterreich, worin dieser, der auf Bayern eifersüchtig war, seine Vermittlung beim Kaiser anbot. Hoffend, daß dadurch der Anmarsch gehemmt werden könnte, schickte Wolf Dietrich auch dieses Schreiben des Erzherzogs an Maximilian.

Boten flogen hin und her, Herzog Max hatte, bevor die Salzburger Gesandtschaft bei ihm eingetroffen war, ein Schreiben an Wolf Dietrich geschickt mit der Aufforderung, den status quo herzustellen binnen zwei Tagen, worauf die Feindseligkeiten beendet werden würden.

Demütig schrieb Wolf Dietrich wieder zurück, es möge kein unschuldiges, katholisches Blut vergossen und ein zehntägiger Waffenstillstand bewilligt werden, während dessen die beiderseitigen Gesandten über die Friedensbedingungen verhandeln sollten.

Inzwischen waren aber die Gesandten in Burghausen eingetroffen und vom Herzog empfangen worden.

Zur größten Überraschung Maximilians forderten die Domherren aber nicht Frieden um jeden Preis, sie baten, es möge der Herzog den Urheber des Streites, den Erzbischof vom Erzstift beseitigen.

Im Flug überdachte Maximilian alle Kränkungen und Schädigungen, die Wolf Dietrich ihm erwiesen, der Herzog erkannte, daß mit diesem Ansinnen des Kapitels ein hohes Ziel, Salzburg selbst für Bayern zu gewinnen sei. Allzeit vorsichtig, gab der Herzog nicht sofort Bescheid, ließ die salzburgischen Gesandten reich bewirten und vertröstete sie auf den nächsten Tag.

Mit seinen Räten besprach sich der Herzog schier die Nacht hindurch, und alles ward sorglich erwogen. Was gegen Wolf Dietrich vorliegt, fand genaueste Kritik, den Ausschlag gaben die wohlerfaßten Worte der Kapitelsgesandtschaft von “schweren Praktiken zu höchstem Nachteil des Erzstiftes”, Worte, die der herzogliche Kanzler dahin übersetzte, daß Wolf Dietrich den Übertritt zum Protestantismus und die Säkularisation des Erzstiftes beabsichtige.

Herzog Max erinnerte sich sogleich der aufgefangenen Briefe des Fürsten Christian von Anhalt an Wolf Dietrich mit Andeutungen, daß der bevorstehende Tod des Kaisers die beste Gelegenheit gäbe, die Union mit bewaffneter Hand auszubreiten.

Daß in einem Kriege der Union gegen die Liga der Salzburger nicht auf Seite der letzteren stehen würde, konnte für Herzog Max keinem Zweifel unterliegen.

So endete die lange Sitzung mit dem Beschluß, auf den Vorschlag des Salzburger Kapitels einzugehen, Wolf Dietrich aus dem Erzstift zu verjagen.

Am Morgen erhielten die Gesandten aber nur den vorsichtigen Bescheid, es beharre der Herzog auf seinen Forderungen: Herstellung des status quo ante, Leistung einer Kaution, auf daß der Fürst nicht zu Bayerns Nachteil mit anderen in Verhandlungen wegen des Salzwesens trete, und Entscheid binnen zwei Tagen.

Die Kapitulare kehrten nach Salzburg zurück und meldeten dem Erzbischof die Bedingungen des Herzogs. Wolf Dietrich lachte darob und spottete: Mit dem Dutzend Feldstücke werde der Bayer wohl keine Salzburger Berge einschießen.

Von ihrem Vorschlag zu einer Okkupation Salzburgs und Absetzung des Erzbischofs durch Herzog Max sagten die Kapitulare nichts und zogen sich zurück.

Tags darauf trafen der Weihbischof und Graf Paris Lodron wieder in Salzburg ein, empört darüber, daß der Herzog sie gar nicht empfangen hatte. Diese Mißachtung seiner Sendboten ärgerte Wolf Dietrich, im Zorn rief er, diesen Affront bitter rächen zu wollen.

Graf Lodron glaubte dem Gebieter doch ein Einlenken empfehlen zu sollen, wasmaßen der Stadt wie dem Erzstift große Bedrängnis drohe und der Bayer nicht viel Federlesens machen werde.

“Blaset doch nicht Trübsal! Ich bin Mannes genug und werd’ den Bayer zwingen!” prahlte Wolf Dietrich. “Ihr seid jeden Mutes bar, feige Memmen! Schaut Euch um, überall habe ich Mannschaft genug, dem Herzog den Eintritt zu wehren! Verharret Ihr aber in solcher Feigheit, so werde ich Euch türmen lassen in der Feste!”

Betroffen entfernten sich die beiden Herren, denen der Übermut des Fürsten ebenso unbegreiflich erschien wie seine Zuversicht auf einen geradezu undenkbaren Sieg.

Am selben Abend des 22. Oktober lief in der Stadt die Schreckenskunde ein, daß Herzog Max Stadt und Schloß Tittmoning trotz heldenhafter Verteidigung seitens der aus 170 Pinzgauern unter dem Befehl des Hauptmannes Schneeweiß bestehenden Besatzung erobert habe.

Als Wolf Dietrich diese Meldung erhielt, rief er: “Macht nichts! Tittmoning ist nicht Salzburg!” und entwickelte nun eine die verzagte Bevölkerung der Bischofsstadt überraschende Thätigkeit, indem er sein kleines, falbes Roß bestieg und von einigen Offizieren begleitet auf die Schanzen ritt, die Leute zur tapferen Gegenwehr ermunterte und Belohnungen versprach, so recht viele der Bayern weggefangen würden.

Nach einer Stunde etwa begab sich der lebhafte Fürst in die Residenz zurück, dinierte mit den Offizieren, und nachts zehn Uhr ritt er abermals auf die Schanzen und revidierte persönlich die Wachen, die sich neuerdings verzagt zeigten, da es hieß, der Bayern-Herzog rücke mit 24000 Mann heran und werde bis zum Morgengrauen vor Salzburg erscheinen.

Wolf Dietrich verstummte, es erfaßte ihn eine Angst, die er nicht bezwingen konnte. Jäh riß er sein Roß herum und jagte im Galopp zur Residenz. Vor derselben angelangt befahl er, den Falben gesattelt bereit zu halten, stieg eilig ab und begab sich in sein Arbeitsgemach, um einen Brief an den Herzog zu schreiben. Damit fertig, befahl er, es solle ein Domherr sofort dem Herzog solchen Brief überbringen und zwar in der fürstlichen Hofkutsche.

Die Boten sprangen hinüber ins Kapitelhaus, kamen aber sogleich wieder mit der Meldung zurück, daß keiner der Domherren eine solche Mission übernehmen wolle.

Wolf Dietrich erbleichte bei dieser Kunde, doch faßte er sich schnell und befahl, es solle der Guardian der Kapuziner nebst einem Ordensgeistlichen zum Herzog fahren und den Brief überbringen. Diese Geistlichen wurden aus den Zellen geholt und vor den Fürsten gebracht, der dem Guardian hastig instruierte und auftrug, dem Herzog zu sagen: Der Erzbischof wolle für seine Person lieber das Äußerste dulden, bevor er seine Unterthanen in ein Blutbad stecke.

Demütig sprach der Guardian: “Hochfürstliche Gnaden, ich gehorche! Aber es ist zweifelhaft, ob ich den Herzog rechtzeitig noch erreiche und....”

“Kein aber! Fort! Fahret im Galopp!”

Die Patres wußten kaum, wie sie in den Hof gelangten, die erregte Dienerschaft drängte sie in die Kutsche, die Pferde zogen an, in rasender Eile rasselte das Gefährt durch die Stadt zur bayerischen Grenze.

Allein in seinem Gemach überließ sich Wolf Dietrich völlig der Angst, er warf sich auf den Betstuhl und flehte um die Hilfe des Allmächtigen. Doch kein Himmelstrost wollte ihm werden durch das Gebet, die Furcht war übergroß, die Gedanken jagten einander; jäh schrie der gepeinigte Fürst auf, ein Gedanke war über ihn gekommen: Salome! Die Kinder! Soll seine Familie dem rachegierigen Herzog in die Hände fallen, büßen die Unschuldigen für den Vater?

Aufspringend, zitternd am ganzen Körper, rief Wolf Dietrich mit heiserer Stimme die Kämmerlinge herbei und befahl, es solle sofort alles zur Flucht bereit gehalten werden, Wagen und Truhen, man solle alle Schätze und Geld verpacken.

Dieser Befehl rief völligen Wirrwarr hervor. Der Fürst eilte hinüber in den Hof, befahl einigen Dienern, ihm zu folgen, und ritt im schärfsten Tempo trotz Nacht und Wind nach Schloß Altenau, das alsbald alarmiert ward. Kammerfrauen mußten Salome wecken und die Kinder aus den Betten holen und ankleiden.

So groß der Schreck ob dieser Alarmierung war, Frau von Altenau zeigte sich gefaßt, als Wolf Dietrich verstört zu ihr ins Nebengemach trat und von namenloser Angst gefoltert zu eiligster Flucht drängte.

Ein Blick aus Salomens blauen Augen traf fragend den bebenden Fürsten.

“Ja, ja, Salome! Alles ist verloren! Ich hab’ verspielt! Klage nicht, spute dich! Ich muß dich und die Kinder retten vor dem rachegierigen Bayer! Reise sogleich ab, die Wagen werden sofort kommen. Fliehe ins Gebirg, in Friesach oder Gmünd treffen wir zusammen!”

“Es wird geschehen, wie mein Herr befiehlt! Muß aber so überstürzt die Flucht ergriffen werden?”

“Ohn’ Verzug! Wir sind keine Stunde mehr sicher! O Gott, steh’ uns bei! Rette dich und die Kinder!”

“Und mein gnädiger Herr?”

“Ich will auf die Rückkunft der Kapuziner warten!”

“Dann ist es meine Pflicht auszuharren....”

“Nein, nein! Flieh’ sofort und bring’ die Kinder in Sicherheit!”

Wolf Dietrich umarmte die treue Frau, bat sie, alles eiligst zu besorgen, und entfernte sich, mühsam den Trennungsschmerz niederkämpfend.

In wenigen Stunden dieser Nacht war alles zur Flucht bereit gestellt. Sieben Wagen wurden mit allem Silbergeschirr und den in großer Eile zusammengerafften Kleinodien, dem Kirchenschatz und Bargeld, in Truhen verpackt, beladen und in der Morgendämmerung in der Richtung nach Golling abgeschickt.

Mit zwei Söhnen und drei Töchtern samt großem Gefolge fuhr Salome diesen Wagen nach, gefaßt, doch mit Thränen in den Augen. Ein letzter Blick galt, als das Steinthor im Rücken lag, der Stadt, der nun verlorenen Heimat. Da lähmte ein Gedanke schier Kopf und Herz, der Gedanke an den in Groll geschiedenen, zu Salzburg begrabenen Vater und an seinen Fluch, der sich nun zu erfüllen scheint. Welch’ ein Abschied von der Heimat! Ein Sturz von schwindelnder Höhe!––

Die Flucht Salomens und Wolf Dietrichs Kinder, die Fortschaffung aller Schätze und Kostbarkeiten gab für die wohlhabenderen Salzburger das Zeichen zur allgemeinen Flucht; wer konnte, brachte sich und seine Habe in Sicherheit, kaum konnten genug Fuhrleute beschafft werden, um Hausrat und Waren fortzubringen. Für die Zurückbleibenden gab es Schrecken genug durch die immer drohender lautenden Gerüchte; hieß es doch, der Bayern-Herzog habe geschworen, die Stadt zu zerstören, den Erzbischof lebendig oder tot zu fangen, er wolle Salzburg von diesem “Türken" befreien, und das Schwert des Herzogs werde nimmer ruhen, bis der Erzbischof unschädlich gemacht sei.

Nichts als Schrecken und dazu noch Hungersnot; es gebrach an Lebensmitteln, so daß in Salzburg fast kein Laib Brot mehr zu finden war.

Noch wartete Wolf Dietrich auf die Rückkehr der ausgesandten Kapuziner; wie der Ertrinkende sich an einen Strohhalm klammert, so hoffte der gebrochene, verzweifelnde Fürst noch auf eine Nachricht, auf Verzeihung des gefürchteten Herzogs.

In seiner Angst wollte Wolf Dietrich nicht mehr allein bleiben, er sehnte sich nach Zuspruch und ließ die Kapitulare Törring und Freyberg bitten, ihn zu besuchen.

Die Herren kamen und trösteten wohl, doch riet Freyberg, es solle der Fürst doch lieber Salzburg verlassen und auf Hohenwerfen so lange Quartier nehmen, bis der Streit beigelegt sei; auch würden die Verhandlungen dadurch erleichtert werden.

Hatte Wolf Dietrich Thränen vergossen, der Ratschlag, nach Hohenwerfen zu gehen, rief Mißtrauen wach, der Fürst mochte ahnen, daß er nur zu leicht würde auf jener einsamen Burg gefangen gehalten werden. So sprach er denn schmerzbewegt: “Nein, Hohenwerfen, so lieb ich die Burg habe, sie bot mir vor vierundzwanzig Jahren die schönsten Stunden meines Lebens, Hohenwerfen betret’ ich nimmer! Lieber geh’ ich nach Kärnten!”

Graf Törring warnte vor jeglicher Flucht; wolle der gnädige Fürst nicht nach der sicheren Burg Werfen, sei es besser, den Herzog zu Salzburg zu erwarten.

Das wollte nun Wolf Dietrich in seiner Angst auch nicht thun; er verabschiedete die Kapitulare und harrte in tiefster Kümmernis der Kapuziner.

Der Sonntag verging; die einsamen Stunden benutzte Wolf Dietrich zum Schreiben von Erklärungen. In einer derselben verteidigte er sich gegen die Beschuldigung, als ob er mit den protestantischen Kurfürsten korrespondiert und daher kein guter Katholik wäre. “Daran geschehe ihm unrecht, indem er bei dem katholischen Glauben leben und sterben wolle. Er wisse auch wohl, daß er wider Ihre fürstliche Durchlaucht gehandelt, begehre derowegen Gnad und Verzeihung."–Das zweite Schreiben war an das Domkapitel gerichtet und gab diesem die Vollmacht, während seiner Abwesenheit dem Erzstift in seinem Namen vorzustehen und das zu thun, was den Unterthanen am zuträglichsten sein würde.

Wolf Dietrich ließ diese Briefe auf seinem Schreibtische liegen, damit sie leicht gefunden werden konnten.

Als gegen acht Uhr abends an diesem schrecklichen Sonntag die Kapuziner noch immer nicht zurückgekehrt waren, gab der Fürst alle Hoffnung auf und befahl, es solle alles zu seiner Abreise bereit gehalten werden. Rasch vertauschte Wolf Dietrich sein Priesterkleid mit der spanischen Rittertracht, schnallte das Rappier um, setzte den Federhut auf den Kopf und schritt durch die Gemächer, wobei er zu den bestürzten Kämmerern sprach: “Behüt’ euch Gott und sehet euch um einen anderen Herrn!”

Ordregemäß harrten im Hofe Vizemarschall Perger mit sechs Dienern, dem Koch, zwei Roßbuben, dem Kammerdiener Märtl und drei reisigen Knechten.

Beim Scheine der Fackellichter warf der Fürst einen letzten Abschiedsblick auf seine Residenz, seufzte tief und bestieg den Falben. Der stille Ritt ging hinaus durchs Steinthor, hinter welchem in schneller Gangart der Pferde die Straße gen Golling genommen wurde.

Die Flucht des Erzbischofs wirkte in Salzburg ärger als die Furcht vor dem anrückenden Feinde.

Im Kapitelhause jedoch wurde es lebhaft. Dem Propst war das zurückgelassene Schreiben Wolf Dietrichs sogleich eingehändigt worden, und damit hatte das Domkapitel die Vollmacht zu selbständigem Handeln. Sofort wurde der Befehl zur Entlassung und Fortschaffung des geworbenen Kriegsvolkes gegeben, auch die Bürger mußten die Waffen niederlegen, jede Verteidigungsmaßregel wurde aufgehoben. Kapitular Freyberg und Licentiat Gruber ritten noch vor Mitternacht aus der Stadt, dem Herzog entgegen, um die Flucht des Fürsten und die Regierungsübernahme seitens des Domkapitels anzuzeigen und zu melden, daß der Herzog im Erzstift nun nach seinem Gefallen schaffen könne.

Das erste Verlangen Maximilians galt der Räumung Berchtesgadens und der Holzlieferungen für das Reichenhaller Sudwerk, Forderungen, welche das Kapitel bereitwilligst bewilligte. Ja noch mehr: das Kapitel drang darauf, daß die Salzfrage gelöst werde und der Herzog auch eingreife, den Erzbischof in persona und die Güter dem Erzstift wieder zurückzubringen.

Maximilian zauderte; es hatte doch etwas Mißliches, den Erzbischof, einen vornehmen Reichsstand und hohen geistlichen Würdenträger verfolgen und verhaften zu lassen. Es widerrieten auch die Hofräte des Herzogs einer solchen Maßregel. Da aber die Gesandten Namens des Kapitels erklärten, daß im Erzstift nicht früher Ruhe werde bis nicht Wolf Dietrich definitiv abgesetzt und gefangen sei, so gab der Herzog am 25. Oktober den Befehl zur Verfolgung des Erzbischofs durch 100 Reiter unter dem Befehl des Rittmeisters Hercelles, der noch in der Nacht ins Gebirg aufbrach und hinter dem Flüchtling einherjagte.

Tags darauf ritt Herzog Max, vom Kapitular Freyberg und Licentiat Gruber begleitet, gefolgt von 200 Reitern und 1000 Mann Pikenieren und Schützen, in Salzburg ein.

Scheu hielten sich die Bürger in den Häusern, der Plünderung gewärtig. Doch zum freudigen Erstaunen ließ der Herzog auf dem Marktplatz halten und durch den Profoßen verkünden: “Wenn sich ein Knecht ungebührlich halten würde oder bei eines Pfennig Wert entwendet, soll der Profoß Macht und Gewalt haben, Hand anzulegen und solchen Übelthäter an den lichten Galgen zu henken.”

Und sogleich begannen Zimmerleute aus der bayerischen Heeresmacht an der Pfeifergasse und an anderen Orten Galgengerüste aufschlagen.

Dann ritt Maximilian freudigen Herzens, einen Sieg errungen zu haben, ohne jedes Opfer, zur Residenz, wo ihn der Domdechant mit den Kapitularen feierlich empfing und als Geschenk einen “schönen Schreibkasten” anbot, den Wolf Dietrich dem König Mathias zur Hochzeit bestimmt hatte und der tausend Gulden gekostet hatte.

Ein Festmahl schloß sich dem feierlichen Empfang an, und während desselben erklärte der Herzog, daß er sich nur als Protector urbis betrachte und sich nicht in die Landesregierung des Erzstiftes einmengen wolle. Inmitten dieses glänzenden Mahles, das allerdings nur durch die großen Anstrengungen in Zufuhr von Lebensmitteln aus benachbarten Städten und Dörfern ermöglicht werden konnte und wofür das Kapitel keine Kosten scheute, traf erschöpft und wund geritten zu allseitigem Erstaunen der Untermarschall Perger mit einem neuen Schreiben des geflohenen Erzbischofes ein, mittels dessen Perger zur Abgabe von Erklärungen legitimiert erschien.

Um eine Störung der Versammlung zu vermeiden, wollte der Dechant den Vizemarschall erst am nächsten Tage vornehmen, allein der Herzog hatte von dessen Ankunft bereits gehört und war neugierig darauf, was der Flüchtling wolle melden lassen. So ward Perger denn vorgelassen und seine Erklärung lautete zur nicht geringen Befriedigung des Kapitels: der Erzbischof habe niemals beabsichtigt, protestantisch zu werden, wollte auch niemals das Erzstift säkularisieren, er sei vielmehr bereit, aus Liebe zum Frieden gegen eine jährliche Pension zu–resignieren.

Der Herzog schmunzelte, und die Kapitulare nicht minder.

 

Wolf Dietrich hatte in mäßigem Tempo die Nacht hindurch den Weg über den Paß Lueg zurückgelegt; im Morgengrauen ritt er vorüber an seiner Burg Hohenwerfen[19], welcher ein wehmutsvoller Blick geweiht ward. Wie glücklich fühlte sich der damals junge Fürst an Salomes Seite auf dieser Feste, und jetzt muß Wolf Dietrich auf Pferdesrücken sein Heil in rascher Flucht suchen!

Kalt und starr ragte das Gemäuer aus dem Tannengrün auf, und krächzende Raben flogen über die Burg hinweg.

Es fröstelte den Fürsten trotz des anstrengenden Rittes.

Die vom Nachtnebel genäßte Reichsstraße führte durch das stille, traumumfangene Dorf Werfen. Kaum daß ein Hund die Kavalkade anbellte, als Hufgeklapper hörbar wurde.

Tiefernst ward des flüchtigen Fürsten Blick, als Wolf Dietrich am Friedhof des einsamen Dorfes vorüberritt; dort wird wohl jener Pfarrer begraben liegen, der einst so grimmig wetterte gegen das Verhältnis des Erzbischofes zu Salome.

“Ruh’ in Frieden!” flüsterte der Fürst, und seine Gedanken galten dann der geliebten Frau, die mit ins Unglück gerissen ward samt den Kindern. Ob Salome wohl die sichere Grenze Kärntens schon erreicht haben wird? Der Zeit nach, mit dem Vorsprung von zwei Tagen, wäre dies möglich. Gerne hätte der Fürst hierüber Erkundigung eingezogen, doch um so frühe Stunde ist keine Menschenseele sichtbar.

Weiter!

Der Nebel in den tiefverhängten Bergen ging in Regen über, als die Kavalkade sich der ummauerten Stadt Radstadt näherte. Gerne wollte Wolf Dietrich zukehren, Nachfrage über Salome halten; doch der vorsichtige Untermarschall Perger bangte für seinen Herrn, er wagte keine Einkehr von wegen der bedrohlichen Nähe der nahen steierischen Grenze und des mißgünstigen Bergortes Schladming.

Die Pferde wurden im Dorfe Altenmarkt vor Radstadt gefüttert, für den Fürsten und das hungrige Gefolge rasch ein karger Imbiß bereitet. Dann ward weitergeritten, den Tauern zu, hinüber auf beschwerlicher Reise nach Moosheim. All’ die Schrecken der Hochgebirgswelt mit Sturm, Schnee und Regen mußten durchgekostet werden, bis die Tauernhöhe überquert war. Im einsamen Örtchen Tweng hielt der müde Fürst einen Bauer an und fragte nach Salome und ihrem Gefolge. Der Gebirgler verstand kein Wort, grinste den Reiter an und schüttelte den struppigen Kopf.

Spät abends ward Moosheim jenseits des Tauern erreicht und hier Quartier genommen. Wolf Dietrich entschloß sich, einen Brief an das Kapitel zu schreiben, ihm war der Gedanke gekommen, durch eine Resignation doch wenigstens eine Pension zu retten. Mit dem fertigen Brief und einer entsprechenden Information mußte Perger auf frischem, requiriertem Roß zurück nach Salzburg reiten.

Wenige Stunden nach Wolf Dietrichs Ankunft trafen die vorher avisierten Herren Rudolf v. Raittenau, des Fürsten jüngerer Bruder und Vizedom von Friesach, und Christof von Welsperg in Moosheim ein, die das Geleite Wolf Dietrichs nach Kärnten zu übernehmen hatten.

Der Fürst begrüßte die Herren durch freundlichen Händedruck und mit wenigen Worten. “Ein schmerzlich Wiedersehen!” meinte er unter bitterem Lächeln zum Bruder, der trösten wollte und ängstlich zur alsbaldigen Fortsetzung der Flucht zur Grenze drängte.

Doch Wolf Dietrich wollte längere Rast hier halten und glaubte, die Entfernung und die dazwischen liegenden Tauern werde genügende Sicherheit bieten. Zudem war die Witterung trostlos geworden, der Ritt nochmals zur Paßhöhe des Katschberges drohte strapaziös zu werden.

So blieb der Fürst, meist in sein Gemach eingeschlossen, zwei Tage in dem elenden Nest.

Rudolf Raittenau mißtraute der Situation in höchstem Maße und hatte gleich nach seiner Ankunft in Moosheim einen berittenen Boten zurück nach Radstadt geschickt, um beim dortigen Pfleger Kundschaft über etwaige Ereignisse zu Salzburg und eine mögliche Verfolgung des flüchtigen Erzbischofs einzuziehen.

In der Nacht zum 27. Oktober kam dieser Bote auf dampfendem Roß zurück und überbrachte die alarmierende Kunde, daß Salzburg von bayerischen Truppen besetzt sei und das Domkapitel Befehl an alle Pfleger und salzburgischen Beamten erlassen habe, den Erzbischof gefangen zu nehmen und nach Salzburg einzuliefern.

Nun gab es für den besorgten Rudolf v. Raittenau kein Zaudern mehr, der Fürst wurde geweckt, alle Vorkehrungen getroffen, und in frühester Morgenstunde, ungeachtet der gefahrvollen Witterung, erfolgte der Aufbruch.

Keuchend erklommen die schnaubenden Rosse den steilen Katschberg. Seltsamer Weise war bei diesem Ritt der zur Führung bestimmte salzburgische Postmeister Hans Rottmeyer nicht an der Spitze geblieben und hatte seinen Platz hinter den Herren eingenommen. Wolf Dietrich saß vertieft in trüben Gedanken im Sattel, sodaß er für alles um sich kein Interesse hatte. Die Herren hingegen trachteten, so schnell wie möglich an die Grenze von Kärnten und damit in Sicherheit zu kommen.

Rottmeyer hielt, so oft sich Gelegenheit bot, nach rückwärts Ausguck, es schien, als erwarte er jemanden, der nachkommen werde.

Die letzte Ortschaft auf salzburgischem Boden, Kremsbrücken, war erreicht, die erschöpften Rosse drängten instinktmäßig zur Taverne. Rudolf v. Raittenau bat, die Reise bis zum nahen kärntnerischen Gmünd fortzusetzen und erst jenseit der Landesgrenze einzukehren.

“Die Ross’ müssen getränkt werden!” erklärte der für den Troß verantwortliche Postmeister und fügte in auffallend despektierlichem Tone bei, daß er sich seine Pferde nicht ohne besondere Entschädigung zu Schanden reiten lasse.

Wolf Dietrich hielt selbst ein so scharfes Fluchttempo für unnötig und gab Befehl zum Tränken der Rosse.

“Im Sattel bleiben!” rief Rudolf v. Raittenau, dem Unheil schwante.

So verging eine Halbstunde, zumal der Postmeister auch noch die Sattelgurten anziehen ließ und den Hufbeschlag revidierte.

Mißtrauisch betrachtete Rudolf diese Vorkehrungen, so sehr sie sonst ja einleuchtend und gerechtfertigt erscheinen mußten. Und wie fortgezogen ritt der jüngere Raittenau voraus und hielt inmitten der gegen Eisentratten-Gmünd führenden Straße Umschau, insbesondere zurück gen den Katschberg.

Plötzlich zuckte Rudolf zusammen, blickte schärfer hin, kein Zweifel, ein Reitertrupp jagte heran. Das können nur Feinde sein, vielleicht bayerische Reiter, die Wolf Dietrich abfassen wollen.

Wie Wirbelwind sprengte Rudolf zur Taverne, schrie Alarm und drängte zur schleunigsten Flucht.

“Rottmayer an die Spitze!” befahl der bleichgewordene Fürst.

Der Postmeister jedoch machte keine Miene, sein Roß zu besteigen und erklärte höhnisch: “Wir sind hier bereits auf kärnterischem Boden, ich bin hier nicht mehr Euer Diener!”

Zornig wollte Wolf Dietrich den feigen Unterthanen sogleich strafen, doch Rudolf griff in des Falben Zügel und riß das Roß mit sich vorwärts. “Fort, fort, Galopp! Die Bayern kommen hinter uns!” schrie der besorgte Bruder.

Kostbare Minuten vergingen, bis die Pferde völlig auf der Straße waren und in Galopp übergingen. Wohl jagten die beiden Raittenau voraus, doch die bayrischen Reiter waren scharf hinterdrein, der Abstand verminderte sich zusehends, und knapp vor dem Städtchen Gmünd war der bayerische Rittmeister Hercelles auf Pferdelänge in die Nähe des Fürsten gekommen.

“Halt!” rief Hercelles und hob die Schußwaffe.

Wie Sturmgebraus prasselten fünf bayerische Reiter heran, bogen vor dem sein Pferd parierenden Fürsten aus, und umringten die Brüder wie den Troß mit blank gezogenen Pallaschen.

“Herr Erzbischof! Ihr seid mein Gefangener!” rief Rittmeister Hercelles, trieb seinen Gaul zum Fürsten und forderte den Degen ab.

Einen Blick der Verzweiflung richtete Wolf Dietrich auf seine Begleitung, sein Bruder hatte blank gezogen, senkte aber in Erkenntnis der Unmöglichkeit eines Durchschlagens die Wehr.

Bleich, zitternd hob Wolf Dietrich das Rappier aus dem Gehänge und überreichte es Hercelles mit den Worten: “Nun ist alles verloren! O Gott, ich habe solch’ Schicksal verdient und bin an allem Schuld! Gott der Allmächtige muß mich billig meiner Missethat wegen strafen! Hier das Rappier, ich bin Euer Gefangener!”

“Ich habe Befehl, Euer Gnaden nach Werfen zu bringen! Zunächst geht es zurück nach Moosheim!” sprach Hercelles.

“Ich gehorche!” erwiderte Wolf Dietrich fassungslos und ließ das Haupt nach vorne sinken.

Gierig stürzten die bayerischen Reiter sich auf den Erzbischof, banden ihn fest auf den Sattel gleich einem Räuber und Mörder, dann jagten sie die Dienerschaft davon und nahmen das fürstliche Reisegepäck zur willkommenen Beute.

Wolf Dietrich duldete stumm. Rudolf von Raittenau protestierte, erzielte aber lediglich die brüske Antwort Hercelles’, daß das Kriegsrecht sei und mit einem vogelfreien Flüchtling keine Umstände gemacht werden würden. Passe es dem jungen Herrn nicht, würde auch er gefesselt zurücktransportiert und in der Burg Hohenwerfen getürmt.

Der Vitztum Rudolf pochte auf seine Stellung und seinen Rang als Edelmann, worüber der Rittmeister so zornig ward, daß er auch diesen Raittenau für “vogelfrei” erklärte, worauf die bayerischen Reiter dem Vizedom die Kleider vom Leibe rissen und ihn gleichfalls festbanden.

Mit Stricken ward auch Herr v. Welsperg auf sein Roß gebunden. Hohnlachend trieben die Reiter nun ihre Gefangenen auf der Straße über den Katschberg zurück nach Moosheim, wo sie in einer Stube interniert und bewacht wurden. Tags darauf ging diese erzwungene Reise nach Werfen.

Unterwegs drang zu Wolf Dietrichs Ohr die schreckliche Kunde, daß Salome mit den Kindern in Flachau gleichfalls gefangen genommen sei, doch konnte der nun völlig gebrochene Fürst nichts über den Ort ihrer Verbringung erfahren.

Nacht ward es, als der traurige Zug Werfen erreichte, und unter Fackelschein ging es hinauf zur Burg Hohenwerfen, deren festestes Gemach mit vergittertem Fenster dem gefangenen Erzbischof und entthronten Fürsten zum Kerker bis auf weiteres angewiesen und scharf bewacht wurde.

Allein hinter Schloß und Riegel warf sich Wolf Dietrich in die Kniee und überließ sich weinend dem Jammer um das verlorene Glück des Lebens.

Interniert blieben auch die anderen Gefangenen auf Hohenwerfen unter dem Burgkommandanten, dem bayerischen Offizier Liegeois, der mit Strenge seines Amtes als Kerkermeister waltete.

 

Nur kurze Zeit (bis zum 6. November) verblieb Herzog Maximilian in Salzburg, doch genügte dieser kurze Aufenthalt, um herauszufühlen, daß Salzburgs Volk dem Okkupator ebenso mißtraute als es dem vielgeschmähten Landesherrn Wolf Dietrich trotz seiner Fehler die Anhänglichkeit bewahrte. Auch liefen nicht eben erfreuliche Nachrichten aus dem Reiche beim Herzog ein, unter anderem auch die Kunde, daß der Kaiser den Gewaltakt mißbillige, verschiedene Reichsstände den Verdacht hegten, daß es dem Herzog von Bayern überhaupt nur um Eroberung und Einverleibung Salzburgs zu thun sei. Bei solcher Stimmung innerhalb der Reichsstände und angesichts der Schadenfreude der Unionisten hielt es der Herzog geraten, solchen Verdacht von sich abzuwälzen, und zwar durch Briefe an den Kaiser und einige an die Reichsstände inhaltlich der Erklärung, daß der Erzbischof nicht Gefangener Bayerns, sondern des Domkapitels sei, daher auch nicht Bayern, sondern das Kapitel das Erzstift administriere. Zugleich reiste Maximilian zurück nach München und rief auch seine Truppen auf bayerisches Gebiet zurück.

Daß man Wolf Dietrich nicht hinter Burgmauern zu Grunde gehen lassen könne, fühlte man im Kapitel doch bei allem Haß gegen den Fürsten. Zunächst wurde ein Kurierdienst zwischen Salzburg und Werfen eingerichtet und dem Erzbischof zu wissen gethan, daß bezüglich seiner Zukunft Verhandlungen angeknüpft werden würden.

Wolf Dietrich verlangte den Domherrn Nikolaus von Wolkenstein zu geheimer Zwiesprache, doch dieser Kapitular lehnte es ab, den Erzbischof zu besuchen. Verbittert forderte der Fürst sein Brevier und Zulassung seines Beichtvaters P. Magnus.

Inzwischen hatte das Kapitel beschlossen, den Domherrn v. Freyberg und Vizemarschall Perger zur Entrierung der Verhandlungen nach Hohenwerfen zu senden, und am 30. Oktober trafen beide Herren in der Burg daselbst ein.

Der Kommandant Liegeois verweigerte ihnen den Zutritt zum Erzbischof rundweg und so lange, bis nicht vom General Tilly spezieller Befehl hiezu erfolgt sei. Mit keinem Auge bekamen die Gesandten ihren einstigen Gebieter zu sehen, sie mußten unverrichteter Dinge nach Salzburg zurückfahren.

Das Kapitel erhob nun im schriftlichen Wege Beschwerde zum Herzog nach München. Die lange Zwischenzeit bis zur Antwort blieb Wolf Dietrich ohne Zuspruch gefangen in Hohenwerfen.

Endlich kam von Maximilian die Erlaubnis zum Beginn der Unterhandlungen mit Wolf Dietrich, dem aber zu bedeuten sei, daß der Erzbischof Gefangener Bayerns(!) sei; auch dürfen die Güterwagen, welche man der Frau v. Altenau abgenommen habe, unverletzt nach Salzburg zurückgebracht und dem Kapitel ausgefolgt werden.

Zu den Verhandlungen mit Wolf Dietrich wurden die Kapitulare v. Törring, v. Wolkenstein, Graf Paris Lodron und Untermarschall Perger abgeordnet, die alsbald–es war der November ins erregte Land gezogen–nach Werfen übersiedelten.

Das Kapitel beauftragte auch den Pfleger von Radstadt, Frau v. Altenau und ihre Kinder freizulassen, sofern sie das eiserne Kistchen mit Juwelen samt Schlüssel an das Kapitel schicke. Ihr Eigentum werde nach vorgenommener Besichtigung wieder ausgefolgt werden.

Salome gehorchte und reiste alsbald mit den Kindern nach Steiermark ab; später übersiedelte sie nach Wels, wo sie lebenslang in Trauerkleidern blieb, viel weinte und ihr Leben in verhältnismäßig jungen Jahren beschloß[20], ohne je ihren geliebten Herrn wiederzusehen.

Im Kerker fand Wolf Dietrich mählich seinen alten Stolz und Trotz wieder, besonders trug zu seiner Erbitterung der Wechsel in der Burgkommandantur bei, indem der ohnehin brüske Liegeois durch den rauhen Obristleutnant Hannibal von Herleberg ersetzt wurde, welcher spezielle Befehle direkt vom Herzog Max bekommen hatte.

An einem trüben Novembertag begann die Kommission des Kapitels im Burgsaale, wohin Wolf Dietrich geführt wurde, die Verhandlung. Die Herren erschraken ob des üblen Aussehens des Erzbischofs, dessen Antlitz totenbleich und, seit langem der Pflege entbehrend, von wirrem Bart umwuchert war. Gerötet schienen die Augen, doch funkelten sie im alten Feuer, trotzig klang die Stimme, aufrecht stand der Erzbischof und begrüßte die Gesandten wie im Vollbesitz seiner Macht durch hoheitsvolles Kopfnicken. Nur Perger sprach er freundlich an, wenn auch nur mit wenigen Worten.

Als man Platz in den hohen Stühlen genommen und Graf Lodron das Wort nehmen wollte, fuhr Wolf Dietrich auf und rief heftig: “Ein Wort zuvor! Wie lange soll meine Haft auf meiner Burg währen?”

Lodron räusperte sich verlegen, die Kapitulare zuckten die Achseln.

“Eh’ ich nicht weiß vom baldigen Ende widerrechtlicher Haft, will von Resignation ich nimmer hören!”

Zögernd sprach Graf Lodron: “In Freiheit, so glaubt das Kapitel, werden Euer Gnaden nicht nach Wunsch die nötige Urkund’ unterzeichnen, daher muß die Haft bis dahin währen!”

Wolf Dietrich sprang auf und rief grollend: “Nimmer werd’ ich einwilligen! Nur wenn frei, setz’ meinen Namen ich darunter! Sagt das den undankbaren Herren! Gewalt zwingt keinen Raittenau!”

Der Obristleutnant Herleberg trat in den Saal, angelockt von dem Lärm der Stimme des Gefangenen.

Erbost darob protestierte Wolf Dietrich energisch gegen die Einmischung eines bayerischen Büttels.

Nun machte der Offizier ein rasches Ende, erklärte mit zornbebender Stimme, daß die Haft verschärft werde durch Entzug von allem Schreibmaterial und künftig niemand außer den Kapitularen zugelassen werden würde.

Hochfahrend höhnte Wolf Dietrich: “Wollt selbst die Büttelwach’ Ihr halten, sei’s drum, nur bleibet außen und verschont mich vor Eurem Anblick!”

Soldaten traten ein, um den Gefangenen in den Kerker zurückzuführen. Wolf Dietrich wandte sich schnell zu Perger und fragte ihn, wo Lamberg weile.

Die Auskunft, daß der Getreue nach Gurk verzogen sei, stimmte den Erzbischof ersichtlich trübe, ruhig ließ er sich hinwegführen.

Mit größter Strenge, die sich zu raffinierter Grausamkeit steigerte, ward Wolf Dietrich auf Hohenwerfen gefangen gehalten; das Fenster seines Kerkers wurde mit einem Brett verschalt, so daß nur gedämpft in mattem Strahl das Tageslicht eindringen konnte; alle Schreibmaterialien blieben dem an geistige Thätigkeit gewöhnten Fürsten entzogen, und Obristleutnant Herleberg wachte darüber, daß niemand Zutritt zum Gefangenen erhielt.

Vergeblich wandte Wolf Dietrich sich an den Diener, der stumm zu bestimmten Tageszeiten die Speisen brachte, um Auskunft über den mitgefangenen Bruder Rudolf v. Raittenau zu erhalten. Es nützte ein zorniger Befehl so wenig wie die rührende Bitte des gestürzten Landesherrn.

Oft war Wolf Dietrich daran zu verzweifeln; auf den Knieen flehte er zum Allmächtigen um Beistand und verrichtete inbrünstig die Gebete. Mählich ward der Erzbischof ruhiger, damit aber auch hoffnungslos und kleinmütig.

Wieder verging eine Woche, bis die Gesandten des Kapitels auf Hohenwerfen erschienen. Auf Verlangen wurde Untermarschall Perger zunächst allein in den Kerker geführt. Erschüttert stand Perger vor seinem gedemütigten Herrn und Fürsten und weinte bittere Thränen beim Anblick Wolf Dietrichs, der ihn mit schier gebrochener Stimme begrüßte und nach Rudolf und Salome fragte.

Perger vermeldete die Befreiung Salomes und ihre Abreise nach Steiermark; bezüglich des Vizedoms Rudolf v. Raittenau werde die Freilassung erfolgen, sobald die Verzichtsurkunde unterzeichnet sein wird.

Ängstlich fragte Wolf Dietrich, wie es mit der Dotation Salomes und der Kinder gehalten werden solle.

Perger konnte nur sagen, daß auch hierfür Sorge getragen werde, nur bestünde das Kapitel zunächst auf der Resignation.

In Thränen ausbrechend schlug der Fürst die Hände vor das Antlitz und schluchzte.

Nach einer Weile erhob sich Wolf Dietrich, er hatte den schweren Entschluß gefaßt und sprach: “Wohlan! Ich will die Urkund’ unterzeichnen! Führe mich!”

Der Kerker wurde geöffnet; von Perger geleitet und von bayerischen Soldaten gefolgt, schritt der Erzbischof durch die Burgräume zum großen Saal, wo die Kapitulare versammelt waren, die sich beim Eintritt des Fürsten achtungsvoll erhoben und stumm durch Verbeugungen grüßten.

Kühl richtete Graf Lodron an Wolf Dietrich die Frage, ob dieser bereit sei zur Anhörung der Urkunde.

Der Fürst nickte und ließ sich dann seufzend in einen Stuhl sinken.

Laut und deutlich verlas Graf Lodron das lange Schriftstück, dessen Hauptpunkte lauteten: 1. Wolle Erzbischof Wolf Dietrich von Raittenau freiwillig resignieren und dem Papst um die Einwilligung schreiben; 2. soll der Erzbischof in des Domkapitels Verwahrung seinem Stande gemäß gehalten werden, jedoch stehe es ihm frei, beim Papst und Herzog Max von Bayern um die Entlassung anzusuchen; 3. dem Erzbischof sollen zu einer jährlichen Pension 20000 Gulden bezahlt werden; 4. sollen demselben noch besonders 10000 Gulden zu einer Abfertigung erstattet werden; 5. anstatt des Silbergeschirres gebe man ihm 5000 Gulden und eine standesgemäße Fahrnis; 6. alle ausstehenden Gelder und Schuldverschreibungen sollen dem Erzbischof zur freien Verfügung eingehändigt werden; 7. sollen demselben alle seine Kleider, Kleinodien &c. zugestellt werden nach des Domkapitels Befinden; 8. alle bei dem Erzstift vorhandenen Schulden sollen ohne Entgeld des Erzbischofs bezahlt werden; 9. gleichwie das Domkapitel an den Erzbischof weiter nichts zu suchen habe, also soll auch dieser solches zu thun nicht Macht haben; sondern das, was vorgefallen, soll beiderseits ganz vergessen sein; jedoch soll alles dieses erst nach eingelangter päpstlicher Bestätigung in seine Wirkung kommen; 10. soll des Erzbischofes Bruder Rudolf, Vizedom zu Friesach, bei allen seinen Gütern ruhig verbleiben und die Versicherung dessen durch das Domkapitel auch bei dem Herzog von Bayern ausgewirkt werden; 11. soll sich das Kapitel bei dem Herzog von Bayern dahin verwenden, daß dem Erzbischof bis zu völliger Entledigung eine größere Freiheit als bisher gestattet werde; 12. weil dann, was die Bewilligung der Freiheit und die Versicherung der Pension betrifft, an dem Herzog von Bayern vorzüglich ist, so soll dieser von beiden Teilen um Bewilligung ersucht werden.

Mit keinem Laut hatte Wolf Dietrich die Verlesung dieser inhaltsschweren Urkunde unterbrochen; als Graf Lodron geendigt, rief der Fürst wehmutsvoll. “Und was wird aus meiner Gemahlin?”

Kalt erwiderte Lodron: “Für Frau v. Altenau wird das Kapitel Sorge tragen, sofern die Urkunde ohne Weigern unterzeichnet ist.”

Wolf Dietrich kämpfte den letzten Kampf, ein Zittern lief durch seinen Körper, er rang nach Atem und Entschluß.

Still war es im Saale, die Kapitulare saßen wie zu Stein erstarrt. Perger hatte Thränen in den Augen und fühlte sich versucht, dem entthronten Gebieter einige Trostworte zuzuflüstern, doch als er sich hierzu erheben wollte, schreckte ihn ein strenger Blick Lodrons zurück.

Ächzend erhob sich Wolf Dietrich und bat mit leisen Worten um Tinte und Feder.

Das Schreibzeug lag auf dem langen Tisch bereit; Lodron deutete darauf und trat an des Erzbischofes Seite.

Flüchtig las Wolf Dietrich die Einleitung der Urkunde, deren Text dem verlesenen Wortlaut völlig entsprach. Ein tiefer Seufzer–dann ergriff der Fürst die Feder und schrieb seinen Namen darunter.

Es war geschehen. Eine tiefe Bewegung erfaßte die Versammlung.

Ergriffen trat Wolf Dietrich zurück und bat in erschütternden Worten um Mitleid für Salome und die unschuldigen Kinder.

Kühl erwiderte Graf Lodron: “Es wird nach Möglichkeit dafür gesorgt werden!” Zu den Kapitularen gewendet rief der Graf: “Die Kommission hat zum Zeugnis die Urkund’ mit zu unterfertigen.”

Schon wollte der Fürst sich entfernen, da ersuchte ihn Lodron, einen Augenblick zu verweilen.

“Was soll noch geschehen?” rief schmerzbewegt Wolf Dietrich aus.

“Euer Gnaden wollen noch eine Vollmacht unterzeichnen, zur Vertretung Eurer Hochfürstlichen Person am päpstlichen Hofe! Die Urkund’ ad hoc liegt bereit! Ich bitte um Unterfertigung!”

Wolf Dietrich unterschrieb nach flüchtiger Durchlesung auch dieses Schriftstück und sprach dann kurz mit Perger, den er bat, sich um Salome zu sorgen Mit keinem Wort gedachte der Fürst seiner selbst, seine Fürsorge galt nur Salome und den Kindern.

Schluchzend gelobte Perger, nach Kräften einzustehen und eine finanzielle Sicherstellung der Frau v. Altenau zu erwirken.

Herleberg trat in den Saal und fragte: “Sind die Herren fertig?”

Als Lodron bejahte, befahl der Burgkommandant die Verbringung des Gefangenen in den Kerker.

Wolf Dietrich reichte Perger die Hand, die dieser unter Thränen küßte, nickte den Kommissaren zu und schritt aus dem Saal, begleitet von gleichmütigen bayerischen Soldaten.

Trübe Tage ohne Sonnenlicht folgten diesem 17. November. Der Gefangene harrte der ersehnten Befreiung; in düsteren, langen, qualvollen Stunden malte sich Wolf Dietrich aus, wie er, in Freiheit gesetzt, zu Salome und den Kindern eilen, ein neues Leben beginnen werde. Und auch Rachegedanken keimten auf in der verbitterten Brust; die Reichsstände, der Kaiser sollen aufgerufen werden, auf daß die Gewaltthat gepönt werde an den falschen Kapitularen und am Bayern-Herzog.

Am 22. November zu später Abendstunde ward der Kerker geöffnet, der Eisenmeister von Hohenwerfen verkündete dem Erzbischof, daß dieser sogleich in verschlossener Kutsche und unter Bedeckung bayerischer Reiter die Reise nach Salzburg anzutreten habe.

Wolf Dietrich zuckte zusammen; das Ziel Salzburg hatte er nicht erwartet, eher auf Verbringung über die Landesgrenze nach Kärnten gehofft. Doch willig ließ sich der Fürst bei Fackelschein den Steilberg hinabführen, und unten bestieg er die harrende Kutsche, in welcher ein bayerischer Offizier bereits saß.

Die Nacht wurde durchgefahren. Früh morgens gegen fünf Uhr hielt der Wagen am Fuße des Nonnbergs, Wolf Dietrich mußte aussteigen. Eine Anzahl bayerischer Fußsoldaten unter Kommando eines Leutnants nahm den Gefangenen in die Mitte und eskortierte ihn hinauf zur Veste Hohensalzburg.

Wie das breite Thor hinter dem Fürsten geschlossen ward, ächzte Wolf Dietrich in einer bitteren Vorahnung.

Gefangen in seinem Hauptschloß der Erzbischof von Salzburg, einer der ersten Reichsfürsten.

Ohne Verzug unternahm das Domkapitel nach Internierung seines abgesetzten Oberherrn die nötigen Schritte, um sich vor Kaiser und Papst zu rechtfertigen. Deputationen des Kapitels reisten nach Rom und Prag, die besten Redner waren zu Sprechern auserwählt.

Beim Kaiser hatte es Schwierigkeiten, denn Seine Majestät verwies Graf Lodron und dem Kapitel ernstlich das Vorgehen gegen den Erzbischof. Durch kluges Benehmen und wohlbedachte Reden gelang es aber, den Kaiser umzustimmen, ja zu einem Schreiben an den Papst zu veranlagen, wonach der Kaiser bat, es möge Se. Heiligkeit die Sache auf sich beruhen lassen und dem Salzburger Domkapitel erlauben, zur Wahl eines neuen Erzbischofes zu schreiten.

Weniger glatt wickelte sich die Angelegenheit bei Papst Paul V. ab, der bei aller Wertschätzung des Herzogs Max und Hochhaltung seiner Verdienste um die katholische Kirche doch das direkte Mißfallen über des Herzogs rasches Verfahren gegen Wolf Dietrich zum Ausdruck brachte.

Dieser Tadel veranlaßte den Herzog, durch seine Räte eine Anklageschrift gegen den gehaßten Erzbischof aufsetzen zu lassen, in welcher alles Material, auch haltlose Verleumdungen, aus der langen Regierungszeit Wolf Dietrichs zusammen getragen wurde. Als Hauptverbrechen wurde das Verhältnis des Erzbischofs zu Salome Alt hingestellt und behauptet, Wolf Dietrich sei trotz des Zölibatsgebotes mit Salome verheiratet gewesen. Ein ungeheures Sündenregister, auch die Behauptung vom Abfall von der katholischen Kirche, Verbindung mit der Union, beabsichtigtet Säkularisation des Erzstiftes, Konspiration mit Christian von Anhalt, dem Oberhaupt der protestantischen Union u.s.w. war enthalten, wanderte mit einer eigenen Gesandtschaft nach Rom, und der Herzog betrieb die Exkommunikation und öffentliche Absetzung Wolf Dietrichs als Ketzer und Apostaten.

Dem Papst war aber nicht darum zu thun, diese Angelegenheit, welche durch die bayerische Anklageschrift einen gehässigen Charakter bekommen hatte, zur öffentlichen Diskussion Europas zu stellen; Paul V. ließ die Sache vielmehr von einer Kardinalskongregation in aller Stille untersuchen.

Das Ergebnis lautete nach monatelanger Untersuchung: 1. Der Verdacht, Wolf Dietrich habe Ketzer begünstigt, konnte nicht bewiesen werden; 2. die Resignation ist solange ungültig, bis Wolf Dietrich den Verzicht vor einem päpstlichen Nuntius abgegeben habe.

Der Herzog mochte vielleicht solch milde Auffassung in Rom befürchtet haben, weswegen seine Gesandten Auftrag hatten, in diesem Falle rundweg zu erklären, daß der Herzog von Bayern die Verantwortung für alle daraus entspringenden Gefahren auf das Reich und die katholische Religion ablehne und von neuem das Äußerste versuchen werde, um “diesen Mann" beiseite zu schaffen.

Diese Erklärung unter erneutem Hinweis für die Kardinäle, daß Wolf Dietrich Protestant werden wollte, sowie das Drängen des Kapitels verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht, die Stimmung im Vatikan schlug zu Ungunsten Wolf Dietrichs um. Der Papst delegierte den in Graz regierenden Nuntius, Anton Diaz, zur Abnahme der Resignation wie zur Erklärung, daß Wolf Dietrich nun päpstlicher Gefangener sei.

Der Winter wich zögernd aus Salzburgs Bergen, der Vorfrühling setzte ein mit Sturm und Regen. Wolf Dietrich saß noch immer auf Hohensalzburg gefangen, abgeschlossen von der Außenwelt, und genoß bei erträglicher Verpflegung nur die minimale Begünstigung, an regenlosen Tagen einige Stunden lang im Burghofe sich ergehen zu dürfen.

Im März endlich traf der Nuntius Diaz in Salzburg ein und wurde nun ein Tag zur Abnahme der Resignation bestimmt. Als Ort hierzu wurde die Klosterkirche auf dem Nonnberg ausersehen und diese von Soldaten ringsum dicht besetzt.

Unter militärischer Eskorte kam Wolf Dietrich von der Veste herab in diese Kirche und wurde in die Sakristei geführt, wo der Nuntius nebst drei Dienern harrte. Sofort wurde die Sakristei verriegelt.

Einer der Diener mußte die Stelle des Notars, die übrigen Dienste als Zeuge leisten. Dem Erzbischof wurde die päpstliche Verzichturkunde vorgelesen und befohlen, zum Zeichen seiner Einwilligung die Hand auf die Brust zu legen.

Wolf Dietrich protestierte gegen einige Stellen, die zu ändern der Nuntius gelobte.

Nun in die von Soldaten gefüllte Kirche gebracht, wurde der Erzbischof nochmals aufgefordert, das Zeichen zur Resignation zu geben.

Mit einem verzweiflungsvollen Blick übersah Wolf Dietrich seine waffenstarrende Umgebung. Hilfe kann es nimmer geben, es ist alles verloren. So legte denn der Erzbischof die Rechte auf die Brust, die Resignation vor dem Nuntius war dadurch rechtskräftig geworden.

Eine militärische Eskorte brachte den Entthronten wieder hinauf zur Veste.

Nun lebte Wolf Dietrich der Hoffnung, daß der Papst ihn vielleicht zum Sommer freilassen werde.

Allein der zum Nachfolger im Erzstift designierte Marcus Sitticus hetzte in Rom gegen Wolf Dietrich, den er einen höchst gefährlichen Menschen nannte, und Herzog Max ließ an den Vatikan berichten, daß Wolf Dietrich zweifellos im Falle einer Freilassung sofort die Union zur Hilfe ausrufen werde, wodurch die katholische Religion in die größte Gefahr kommen müßte.

Rom konnte sich solcher Einwirkung nicht verschließen, der Befehl zur Freilassung kam nicht.

Zehn Monate schon harrte und hoffte Wolf Dietrich in strengster Gefangenschaft, ohne Schreibzeug, ohne Lektüre; man hatte ihm nur die heilige Schrift und das Brevier gelassen.

Von den bewachenden Soldaten fühlte im Laufe der Zeit einer ein menschlich Rühren, der Bayer empfand Mitleid für den gestürzten Fürsten und zeigte sich für dessen Bitten um Schreibzeug zugänglich.

In einer Nacht brachte der bayerische Soldat das Gewünschte, und im Morgengrauen schrieb Wolf Dietrich an den Papst in lateinischer Sprache eine Vorstellung, in welcher er die bisher erlittene schmähliche Behandlung schilderte, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und Verdächtigungen zurückwies und gegen den Nuntius Diaz bittere Klage erhob. Sein Verhältnis zu Salome gab er unumwunden zu. Er bat zum Schlusse um Abberufung des ihm gehässigen Nuntius und um eine Untersuchung durch die Bischöfe von Seckau und Lavant.

Dieses Schreiben verbarg Wolf Dietrich sorgsam des Tages über vor den Augen des inspizierenden Kerkermeisters. Als in der Nacht der bayerische Soldat wieder die Wache hatte, gab er diesem den Brief mit der Bitte um Beförderung zur Post.

Am nächsten Tage erbat der Soldat Erlaubnis zu einem Gang in die Stadt, die anfangs ohne Argwohn gegeben wurde. Der Mann lieferte das Schreiben Wolf Dietrichs zur Post und leistete sich hierauf mit dem vom Erzbischof erhaltenen Lohn eine Stärkung in der Trinkstube. Die Ausgabe eines größeren Geldstückes wie die Bestellung einer für einen Soldaten üppigen Mahlzeit erweckten Verdacht, man schickte um die Ronde, und vor dem Offizier gestand der eingeschüchterte Soldat die Briefbeförderung. Sofort wurde die Post militärisch besetzt und das leicht herausgefundene Schreiben an den Papst konfisziert und an das Kapitel ausgeliefert.

Die Folge dieser Entdeckung war eine Auswechslung der Wachen in der Veste und Androhung schwerster Strafen für den geringsten Verkehr mit dem Gefangenen.

Im Juli 1612 wurde die bayerische Militärbesatzung von Hohensalzburg abberufen, dafür kam eine salzburgische Söldnerwache auf die Veste.

Als Gefangener des Papstes mußte Wolf Dietrich nun dem Nuntius den Treueid schwören und geloben, dessen Befehle zu befolgen. Die Gefangenschaft wurde nun–verschärft.

Wiewohl doch in der Verzichturkunde ausdrücklich die Freilassung gewährleistet war, Wolf Dietrich blieb gefangen. Fruchtlos waren die Gesuche mehrerer deutscher Fürsten, die empört über den Wortbruch und die schimpfliche Behandlung eines hohen Kirchenfürsten sich für den Unglücklichen verwendeten. Selbst Kaiser Mathias schrieb an den Papst und legte Fürbitte für Wolf Dietrich ein, ohne den geringsten Erfolg. Zum Erzbischof wurde Marcus Sitticus gewählt und der neue Kirchenfürst wußte dem Papst begreiflich zu machen, daß es eine Schande für den apostolischen Stuhl sei, wenn Wolf Dietrich zu seinem früheren sündhaften Leben zurückkehren würde; auch wies der neue Herr auf die großen Gefahren hin, welche durch eine Verbindung dieses unruhigen Kopfes mit den Ketzern für ganz Deutschland entstehen könnten.

So ward denn in Rom beschlossen, die Angelegenheit in die Länge zu ziehen, bis der ohnehin kränkliche depossedierte Erzbischof vollends apathisch gemacht oder aufgerieben sei.

Damit hatte es aber lange Zeit. Wolf Dietrich, der von Zeit zu Zeit Besuch von Kapitularen wie ja auch von seinem Leibarzt bekam, machte eines Tages geltend, daß er allerdings seine geistlichen Befugnisse und Würden an den Papst zurückgegeben, nicht aber zugleich auf seine Stellung als deutscher Reichsfürst verzichtet habe.

Dies schreckte das Kapitel für die ersten Tage, dann blieb alles beim Alten.

Drei Jahre vergingen in solcher schmählichen Gefangenschaft. Einen letzten Versuch machte 1615 die Raittenausche Familie in Rom, und nun befahl der Papst, es solle Wolf Dietrich freigelassen oder wenigstens die Pension bei einigen Augsburger Kaufleuten hinterlegt werden.

Der neue Erzbischof fragte Herzog Max um Rat, dieser stellte die Gefährlichkeit einer Freilassung vor, und in diesem Sinne ward nach Rom geschrieben. Und der Papst wurde der Salzburger Sache endlich überdrüssig und ließ sie ruhen, wie sie eben lag.

Trotz aller Verträge und Versprechungen blieb Wolf Dietrich gefangen; man zuckte, wenn von solcher Treulosigkeit gesprochen wurde, die Achseln und suchte den Wortbruch mit politischen Rücksichten zu rechtfertigen.

Von allem Verkehr abgeschnitten, krank, verlor Wolf Dietrich mit den Jahren alle Energie, ein völlig gebrochener Mann begann er seine Gefangenschaft als sichtbare Strafe Gottes anzusehen. Er beschäftigte sich mit Bibelstudien und widmete seine besondere Aufmerksamkeit den Paulinischen Briefen.

Ein Schlagfluß lähmte seine ganze linke Seite, dazu kam Wassersucht und ein Steinleiden.

Als am 16. Januar 1617 der Burgkommandant, sein ehemaliger Kriegsobrist Leonhard Ehrgott, in die Wohnung Wolf Dietrichs trat, fand er den Gefangenen entseelt auf dem Bette liegen.

Es hatte ausgelitten Celsissimus!

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Celsissimus
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