Celsissimus
By Arthur Achleitner

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X.

Wahrhaft fürstlich war Salome zu Hof gehalten, unumschränkte Gebieterin und Herrin über eine große Schar von Kammerfrauen und Dienerinnen. Salome speiste mit Wolf Dietrich täglich an der üppig bestellten Tafel, sie erwies die Honneurs des fürstlichen Hauses, wie sie im engeren Kreise bei Hof allenthalben als Gemahlin Seiner Hochfürstlichen Gnaden respektiert wurde. Der Fürst bekundete für Weib und Kind eine rührende Fürsorge, der gute innere Kern seines sonst wankelmütigen Wesens offenbarte sich hier durch Treue und Hingebung im schönsten Maße. Aus Salzgeldern war Salome ein Nadelgeld von monatlich vier- bis sechstausend Gulden überwiesen, und sie verstand es, weise mit dem Gelde umzugehen, auf die Zukunft stets bedacht. Aber auch Wolf Dietrich schien bemüht, die Existenz seiner heißgeliebten Salome vor Wechselfällen des Lebens sicherzustellen dadurch, daß er dem sogenannten “ewigen Statut" einen speziellen Paragraphen einfügte, der in nicht mißzuverstehender Weise lautete: “Alle diejenigen, welche vom Erzstift begabt und begnadet werden, sollen dieser empfangenen Gnaden und Haben halber nicht allein unter irgend einem Schein, heiße er wie er wolle, nicht angefochten werden oder rechtlichen oder unrechtlichen Anspruch darauf zu erdulden haben, sondern sollen vielmehr bei den empfangenen Gnaden beschützt und beschirmt werden.”

So geschirmt, beschützt, litt Salome doch bittere Qual im Herzen, der immer wieder auftauchende Gedanke an den kranken unversöhnlichen Vater steigerte den Seelenschmerz zur unstillbaren Sehnsucht, vom Vater Alt Vergebung zu erlangen. Und eines Tages, da die junge Mutter eben das kleine Wölfchen herzte, trat die Lieblingsdienerin Klara, die einst zur Flucht aus dem Elternhause behilflich gewesen, ins Gemach, und am geheimnisvollen Gebaren merkte Salome sogleich, daß ein besonderes Ereignis vorgefallen sein müsse. Die Kammerfrau wie die Kindsin wurden weggeschickt, und nun fragte Salome hastig, was Klara wohl zu melden habe.

Zögernd nur sagte die vertraute Dienerin, daß sie die Häuserin des Vaters getroffen und von dieser Kunde habe, es stünde übel mit Herrn Wilhelm Alt, wasmaßen um den Geistlichen geschickt worden sei.

Salome erbleichte bis in die Lippen, ein Schauer ging durch ihren zarten Körper, bebend jammerte sie: “Großer Gott! Gieb Gnade mir, steh mir bei zur Vergebung!”

Und ein Gedanke fand sofortige Ausführung. Salome kleidete Wölfchen sogleich an, rüstete selbst sich zum Ausgang und befahl Klara, eine Sänfte zu bestellen, und das Geleit zu geben ins Vaterhaus.

Eine Stunde später war Salome mit ihrem Söhnchen zitternd und zagend im Altschen Hause; Klara bemühte sich, die Häuserin zu beschwatzen, auf daß Tochter und Enkel ins Krankenzimmer gelassen würden.

Der Priester, welcher beim Schwerkranken geweilt, verließ die Stube; ihm eilte von Schmerz und Sorge erregt und gequält Salome entgegen und fragte, wie es um den Vater stünde. Der Geistliche zuckte die Achseln, grüßte höflich und flüsterte: “Es kann nicht lange mehr dauern!”

Ein Wehruf entrang sich der wogenden Brust, Salome fühlte eine Ohnmacht nahen, doch raffte sie sich auf, nahm Wölfchen in die Arme und wankte, die Häuserin zur Seite drängend, in Vaters Krankenstube.

Wilhelm Alt drehte den totenbleichen Kopf zur Seite, die schier brechenden Augen waren fragend auf den Störenfried gerichtet. Wie nun Alt Salome erkannte, erzitterte er und hob die knöcherigen Hände wie abwehrend gegen die Tochter. Hohl klangen die Worte: “Hinweg mit der fürstlichen Buhle!”

Salome warf sich in die Knie, hielt Wölfchen entgegen und flehte schluchzend im bittersten Weh: “Vater, lieber Vater, vergebt mir! Verzeiht!”

“Hinweg! Ich will in Ehren sterben!”

“Vater, habt Erbarmen!”

“Ich hab’ kein Kind, kann Vater also nimmer sein!”

“Hilf heiliger Gott, Maria steh’ mir bei in dieser bittersten Stunde meines Lebens! Erweich’ des Vaters Herz, o heiliger Gott, auf daß mir Verzeihung werde, nach welcher dürstet meine Seele, verlangt mein schmerzdurchwühltes Herz!”

“Hinaus! Ich will nichts hören!”

“Schwer hat sich gerächt die Flucht vom Elternhause, ich fand die Seelenruhe nimmer, versagt bleibt mir der priesterliche Segen–”

“Das wußt’ ich zum voraus!”

“Euer prophetisch Wort hat nur zu wahr sich an mir erfüllet! All’ äußerer Glanz kann die Hohlheit meines Seins nicht verdecken!”

“Die Strafe ist gerecht für das ungeratene Kind, dessen Leben jedem ehrlichen Bürger Salzburgs muß die Schamröt’ ins Gesicht nur treiben!”

“Vergebt mein guter Vater! Hart ist die Strafe, doch willig soll sie ertragen werden! Laßt Euer Herz reden für mich und mein unschuldig Kind!”

“Der Bastard soll zum Lockvogel wohl werden?! Vergebene Mühe!”

“Zermalmet mich mit Eurem Zorn, doch sagt das eine Wort vorher, das meines Lebens höchste Sehnsucht ist!”

“Nein! Es bleibt bei meinem Fluch! Ich will von dir nichts wissen, will ehrlich stolz in die Grube fahren! An dir und deinem fürstlichen Buhlen soll sich rächen der Fluch des Vaters, erfüllen sich ein grausam Schicksal verdientermaßen!”

Wilhelm Alt begann zu röcheln, seinem todesmatten Körper und müden Geist ward diese Scene zu viel der Aufregung, die den Todeskampf beschleunigen mußte.

Von Verzweiflung erfüllt setzte Salome das Knäblein zu Boden, eilte an des Vaters Sterbebett und warf sich vor demselben nieder, die Hände flehend ringend, um Erbarmen wimmernd.

“Nein!” flüsterte der Sterbende und ließ das Haupt in die Kissen fallen. Ein Zucken, ein Seufzer–das Leben war entflohen, Wilhelm Alt unversöhnt gestorben.

Salome schrie auf in furchtbarstem Schmerz und warf sich über die Leiche, die Lippen des Vaters ein letztes Mal küssend.

Dann rang die junge Mutter nach Fassung, nahm Wölfchen auf den Arm und verließ das Sterbezimmer, um in der Sänfte ins Palais zurückzukehren und Trauerkleider anzulegen.

Zur gewohnten Stunde erschien Wolf Dietrich in spanischer Rittertracht in Salomens Gemächern, um die Gemahlin abzuholen und in den Speisesaal zu geleiten. Betroffen ob der Trauerkleidung fragte der Fürst nach der Ursache, und als Salome ihm schluchzend Mitteilung vom Tode des Vaters gegeben, suchte Wolf Dietrich liebreich zu trösten. Die Frage, ob eine Aussöhnung erfolgt sei, fühlte der Fürst auf der Zunge liegen, doch als Schonung sprach er sie nicht aus. Dafür gelobte er, Wilhelm Alt mit allem Gepränge, wie die familiären Beziehungen dies heischen, bestatten zu lassen.

Salome drängte die Thränen zurück und bat weichen Tones: “Mein gnädiger Herr möge davon Abstand nehmen! Der Vater soll still und schlicht begraben werden, darum bitte ich in meinem namenlosen Schmerze!”

“Wohl acht’ ich Schmerz und Trauer, doch will mich bedünken, der Vater meiner Frau soll mit fürstlichen Ehren zu Grab’ getragen werden!”

“Verzeiht mir, gnädiger Gebieter! Sehet davon ab! Der Vater ist geschieden im Zorn–unversöhnt mein Flehen war vergeblich!”

“So war Salome in letzter Stunde bei Wilhelm Alt?”

“Ja, es war Kindespflicht doch nur! Mit Wölfchen in den Armen flehte ich um sein Erbarmen–”

Wolf Dietrich rief mißmutig: “Was sollt’ mein Söhnlein dabei? Will ich verargen nicht, daß du den kranken Vater wolltest sehen, der junge Raittenau hat dem Altschen Hause fern zu bleiben.”

Aufschluchzend jammerte Salome: “Ist doch Wölfchen von mir in Schmerzen geboren! Und die Mutter durfte doch wohl ihr Kind mit sich nehmen auf den bitteren Gang!”

“Ein bitterer Gang, das will glauben ich und nicht weiter raiten. Mein Sproß aber sollt’ nicht betteln um eines Bürgers Gnade, sei dieser wer er wolle; die Kluft ist zu hoch!”

“Weh’ mir!” rief Salome und brach zusammen.

Der Fürst mochte fühlen, zu weit gegangen, zu scharf geworden zu sein, er rief die Kammerfrauen herbei, deren Pflege er Salome überließ, und gab Befehl, auf das der Leibmedikus die Kranke besuche.

Als Wolf Dietrich zur Tafel sich begab, lagerten Wolken des Unbehagens und Mißmutes auf seiner Stirne; hochfahrender denn je trat er in den Saal, wo die geladenen Gäste des Fürsten harrten und ihn mit tiefen Verbeugungen begrüßten.

Unter den Gästen befanden sich einige Salzburger Patrizier, denen die Abwesenheit Salomes auffiel, die aber deren Fehlen mit dem Ableben ihres Vaters in Verbindung zu bringen wußten und nicht wenig darauf neugierig waren, ob der Fürst des Todes Wilhelm Alts irgendwie erwähnen werde.

Die Tafel mit all’ dem Zeremoniell, auf dessen Beobachtung Wolf Dietrich strenge hielt, begann, und flink servierten die Lakaien. Stumm ward gespeist, es lag ein Druck auf der Gesellschaft, die finstere Miene des Fürsten ließ keine den Tafelfreuden entsprechende Stimmung aufkommen.

Neben dem Erzbischofe saß Graf Lamberg, der verstohlen manchen Blick auf den Gebieter warf und darüber nachsann, was die üble Laune hervorgerufen haben könnte. Zu seiner Überraschung sprach plötzlich Wolf Dietrich halblaut zum Kapitular: “Will Lamberg dafür sorgen, daß still und schlicht, doch immerhin mit Patrizier-Ehren Wilhelm Alt beerdigt werde, werd’ ich dem Freunde dankbar sein!”

Lamberg verbeugte sich und kombinierte schnell Ursache und Wirkung im Verhalten des Fürsten.

Ausblickend und der Gäste Schar musternd, nahm Wolf Dietrich dann das Wort, laut, allen vernehmlich, und sprach: “Salzburg hat einen hervorragenden Bürger in Wilhelm Alt, der von hinnen gegangen ist, verloren. Wir wollen seiner gedenken und zum Zeichen der Trauer die Tafel anjetzo aufheben. Ich delegiere zum Begräbnis an meiner Statt meinen Hofmarschalk und bitte den Grafen Lamberg, das Nötige zu veranlassen.”

Die feierlich, mit tiefem Ernst gesprochenen Gedenkworte des Fürsten wirkten ergreifend auf die Gäste, besonders auf die Patrizier, die ein Dankgefühl empfanden, daß der Gebieter ihres Genossen gedachte. Alles hatte sich erhoben, man stand schweigend. Wolf Dietrich berief nun speziell die Patrizier zu sich und reichte jedem derselben die Hand zum Zeichen seiner Anteilnahme, worauf sich der Fürst mit Lamberg in die inneren Gemächer zurückzog, die Herren aber ergriffen das Palais verließen.

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Vorwort.  •  I  •  II.  •  III.  •  IV.  •  V.  •  VI.  •  VII.  •  VIII.  •  IX.  •  X.  •  XI.  •  XII.  •  XIII.  •  XIV.  •  XV.  •  Fußnoten

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